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Test - Doki Doki Literature Club : Das verstörendste Spiel des Jahres: Das MUSST du spielen!!!

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Fangen wir mit einer ungewöhnlichen Bitte an: Lies diesen Artikel nicht! Spiel einfach das Spiel! Es ist kostenlos, dauert nur vier bis fünf Stunden, und je weniger du darüber weißt, umso besser. Im Grunde verrät die Überschrift schon viel zu viel. Also: Spiel es einfach, und komm dann erst zurück. Versprochen: Du wirst es nicht bereuen.

Nun gut, du wolltest nicht auf mich hören. Aber keine Angst: Ich werde versuchen, so wenig wie möglich zu spoilern, sodass du das Spiel dennoch genießen kannst. Aber glaube mir: Am Ende dieses Artikel wirst du Doki Doki Literature Club spielen wollen, und dann wirst du es bereuen weitergelesen zu haben. Ich weiß, wovon ich spreche, denn so erging es mir: Von mehreren Freunden hatte ich gehört „Das MUSST du spielen!!!“, mit den Großbuchstaben und Ausrufezeichen exakt an dieser Stelle.

Mehr als Andeutungen waren ihnen nicht zu entlocken. Auch auf mehrfache Nachfragen, WAS denn nun genau an diesem Spiel so besonders sei, kamen nur wage Erklärungsversuche. Das müsse ich selbst erleben, hieß es immer nur, zumeist begleitet von Adjektiven wie „krass“, „verstörend“ oder „unfassbar geil“. Doki Doki Literature Club ist eines dieser Spiele, nach denen man noch eine ganze Weile vor dem Monitor sitzt und sich fragt, ja, nicht glauben kann, was da gerade passiert ist. Immer noch hier? Letzte Chance …

Na gut, hier kannst du noch weiterlesen, wenn's sein muss

Doki Doki Literature Club ist im Kern eine Mischung aus Virtual Novel und Dating-Sim, wie sie vor allem in Japan beliebt sind. Ihr spielt einen Teenager an einer High-School, der sich dazu überreden lässt, an einem Poesie-Kurs teilzunehmen. Die anderen Mitglieder sind ausnahmslos attraktive Vertreterinnen des weiblichen Geschlechts und erfüllen die typischen High-School-Klischees: Da ist die begehrenswerte Nachbarin, die uns schon vor Jahren in der Friendzone geparkt hat, die introvertierte Emo-Intellektuelle mit Hang zur Melancholie, der quirlige Sonnenschein und die unnahbare Schöne.

Wie bei „Spielen“ dieser Art üblich gibt es eigentlich nicht viel zu machen. Die Geschichte läuft mehr oder weniger ohne euer Zutun ab, in Texteinblendungen vor einfach gestalteten Mangazeichnungen, die sich per Druck auf die Leertaste von selbst abspulen. Es gibt nicht einmal Dialogoptionen oder Pseudo-Entscheidungen wie etwa in den Telltale-Spielen. Lediglich etwa alle halbe Stunde werdet ihr dazu aufgefordert, aus ein paar Stichworten ein Gedicht zusammenzuklicken, das dann durch seine jeweilige Wortwahl den Gemütszustand entweder der einen oder der anderen Mitschülerin besser oder schlechter trifft und dadurch dieser oder jener besser oder schlechter gefällt. Das war's eigentlich schon. Auf den Verlauf der Geschichte hat das kaum Einfluss.

Die ersten zwei Stunden folgt Doki Doki Literature Club voll und ganz dieser in Japan sehr erfolgreichen, im Westen eher als bizarr wahrgenommenen Genretradition. Nach und nach gewinnen wir die Sympathien der einzelnen Mädels, wecken sanfte Eifersüchteleien zwischen ihnen und klopfen ab, wer von ihnen am ehesten als Objekt der romantischen Begierde infrage kommt.

In den Treffen des Literaturclubs tauschen die Mitglieder selbstverfasste Gedichte untereinander aus und erhalten so zarten Einblick in die Gefühlswelten der anderen. Vieles darin dreht sich um typische Teenagerprobleme: die Angst vor Zurückweisung, das Suchen nach dem eigenen Platz in der großen, weiten Welt und die Unsicherheit im Umgang mit anderen Menschen. Nur andeutungsweise zeigt sich, dass hinter der Fassade Abgründe klaffen, keine jedoch, die nicht alltäglich für Teenager in diesem Lebensabschnitt wären: Angst vor Einsamkeit, Sehnsucht nach unerwiderter Liebe, mangelnde Akzeptanz durch die Mitschüler.

Hier besser nicht weiterlesen

Als Doki Doki Literature Club die Richtung wechselt, geschieht das so plötzlich und heftig, dass es unvorbereitete Spieler wie einen Schock erwischt. Es ist praktisch gesehen unmöglich, dies zu beschreiben, ohne zu viel zu verraten, und keine Angst, das werde ich nicht, doch es hat seinen Grund, warum das Spiel im Nachhinein einen Warnhinweis erhielt, es sei nicht für Kinder und Personen geeignet, die leicht zu verstören sind.

Die unschuldige, ja, im Grunde banale Romanze wandelt sich unversehens und ohne Vorwarnung in eine Art Psychohorrortrip, auf den man unmöglich vorbereitet sein konnte. Von nun an geht es einen langen dunklen Abgrund hinab, der mit allen Erwartungen bricht, den man an eine solche Geschichte, ja, gar das Medium im Allgemeinen stellen kann und der selbst dann noch Haken schlägt, wenn man glaubt verstanden zu haben, worauf es hinausläuft.

In manchen Momenten fühlte ich mich an den Film „Audition“ von Takashi Miike erinnert. Doki Doki Literature Club erzählt keine Horrorgeschichte im engeren Sinne, wie im Internet gelegentlich missverständlich behauptet wird, vielmehr schlägt es eine Richtung ein, die im weiteren Sinne um Themen wie Depression, Obsession und Todessehnsucht kreist und damit auf einer Meta-Ebene eine radikale Abrechnung mit den naiven Teenagerromanzen dieses Erzähl-Genres vornimmt.

Auf gar keinen Fall weiterlesen!

Und dann doch auch wieder nicht. Denn selbst sein Liebäugeln mit dem Genre des Psychothrillers ist am Ende lediglich eine geschickte Tarnung, mit der Doki Doki Literature Club seine Spieler abermals an der Nase herumführt. Denn schlussendlich geht es Doki Doki Literature Club um nichts weniger als darum, mit der vierten Wand auf eine Weise zu brechen, die eher einer Zertrümmerung gleichkommt, wie es kaum ein Medium je zuvor gewagt hat.

Aber jetzt habe ich schon viel zu viel verraten. Nur noch zwei Tipps zum Abschluss: Wenn du Doki Doki Literature Club spielst, dann höre nicht auf, bevor auch wirklich der Abspann über den Bildschirm läuft, auch wenn das Spiel schon vorher mehrfach vorgibt, zu Ende zu sein. Und erst recht danach, wenn das Spiel endlich seine letzte Maske hat fallen lassen, solltest du nicht aufhören. Einfach mal nach „doki doki literature club secrets“ googlen, um festzustellen, dass der verstörendste Ort dieses Spiels tief verborgen in seinen Eingeweiden lauert, wo er die ganze Zeit über für alle offen und doch unsichtbar war ...

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