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Test - The Pillars of the Earth : Mist, ich habe den Käse verschenkt

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Ein Mittelalter-Epos zum Selberspielen, eine Point-n-Click-Geschichte mit weitreichenden Entscheidungen statt fordernden Rätseln, ein Abenteuerspielbuch als interaktives Ölgemälde, ein Telltale-Adventure in 2D, aber nicht von Telltale, sondern von Daedalic – das Spiel zu Ken Folletts Bestseller „Die Säulen der Erde“ ist Vieles, gleichzeitig vertraut und doch anders.

26 Millionen Menschen haben den 1.200 Seiten starken Roman gekauft und ihn zu einem der erfolgreichsten Bücher der letzten Jahrzehnte gemacht. Wenn nur ein Bruchteil davon Lust auf ein Spiel dazu hat, so wird man sich beim Verlag Bastei-Lübbe gedacht haben, der seit ein paar Jahren an den Adventure-Spezialisten Daedalic beteiligt ist, dann ist das eine Lizenz zum Gelddrucken. Und im besten Falle der Auftakt zu einer ganzen Schwemme an Spielen zu Erfolgsmarken aus dem Portfolio des Buchverlags, sowas wie das Marvel Cinematic Universe für Leseratten, die auch gerne mal klicken. Oder für Gamer, denen 1.200 Seiten zu mühselig sind.

Wir befinden uns im England des 12. Jahrhunderts, eine Zeit voller Armut und Krieg. Aus der Sicht mehrerer Personen erleben wir die Wirren eines Thronfolgekrieges, dessen Geschichte um den Bau einer Kathedrale in der fiktiven Stadt Kingsbridge herum gewoben ist. Als Mönch Philip, der unverhofft zum Oberhaupt der örtlichen Kirche ernannt wird, sehen wir uns in einem Tauziehen der Mächte zwischen Grafen, Bischöfen und Königen gefangen, die wie in einer mittelalterlichen Seifenoper ihre Intrigen spinnen, während wir ohnmächtig mit ansehen müssen, wie das Volk leidet und in den Verheißungen des Glaubens trügerische Hoffnung auf Erlösung sucht.

Diese Erlösung soll der Neubau einer Kathedrale bringen, für die der verarmte Baumeister Tom Builder verantwortlich ist. Er ist mit dem Burschen Jack und seiner Mutter eine Art Zweckgemeinschaft eingegangen, nachdem seine Frau auf dem beschwerlichen Marsch zu Tode kam. Jack wiederum wuchs allein mit seiner Mutter im Wald auf, fernab der Zivilisation, von Städten und Menschen. Dennoch ist der Junge hoch talentiert und gebildet, und wird noch eine gewichtige Rolle in der Geschichte einnehmen …

Das bessere Telltale-Spiel?

Die Säulen der Erde erscheint in insgesamt drei Episoden, von denen die erste nun erhältlich ist. Teil 1 endet mit dem Sturz des Grafen und dem Baubeginn der Kathedrale. Auch wenn der für eine Episode von Daedalic versprochene Umfang des ersten Deponia-Teils etwas optimistisch gerechnet sein mag, ist die Spieldauer dennoch weit über der einer typischen Telltale-Episode.

„Telltale“ lautet zudem das entscheidende Stichwort. Um dem erzählerischen Fluss der Vorlage nicht im Weg rumzustehen, warf Daedalic etlichen Ballast über Bord, den das Adventure-Genre all die Jahre mit sich herumschleppte. Das beginnt bereits bei Kleinigkeiten wie der Steuerung: Statt bei jedem Klick auf einen Gegenstand einen meist sinnlosen Monolog der Spielfigur über sich ergehen lassen zu müssen, den man eh irgendwann nur noch wegklickt, gibt Pillars of the Earth lediglich durch ein paar markante Stichworte kurze und knackige Einblicke in die Gedankenwelt des Charakters. Kein unnötiges Gelaber, kein Leerlauf. Eigentlich fast schon überfällig fürs Genre.

Jedoch, wer „Telltale“ sagt, meint in der Regel vor allem: Interaktive Geschichten, weitgehend ohne fordernde Rätsel, dafür voller Entscheidungen, die jedoch zumeist kaum oder nur mit dem Elektronenmikroskop auszumachende Konsequenzen nach sich tragen. Daedalic hat sich für einen gesunden Mittelweg entschieden.

Klassische Adventure-Rätsel gibt es nach wie vor. Allerdings sind diese in der Regel nicht sonderlich schwer. Man habe den Erzählfluss nicht künstlich durch willkürlich in den Weg gelegte Steine blockieren wollen, erklärten uns die Entwickler den Grund dafür im Interview. Außerdem habe man die Glaubwürdigkeit der realistischen mittelalterlichen Spielwelt nicht durch an den Haaren herbeigezogenen Handlungen zerstören wollen, bei denen man erst aus Ast, Haarspange und Hosenträger eine Schleuder bauen muss, bevor man das Reh damit erlegen kann. Dem kann ich eigentlich nichts anderes hinzufügen als: recht haben sie.

Den Reiz seiner Rätsel schöpft „Pillars“ aus etwas ganz Anderem: Die meisten Aufgaben sind wie die Nebenquests in einem Rollenspiel optional. Man muss sie nicht lösen, kann das aber tun – und wenn, dann meist mit unvorhersehbaren Konsequenzen. Dies wirkt sich (oftmals erst sehr viel später) auf den Handlungsverlauf aus. Beispiel: Bei unserer Ankunft in Kingsbridge bittet uns ein hungriger Mönch um etwas zu essen. Wir können ihm ein Stück Käse anbieten, das wir dabei haben, und die meisten, die mit Adventures auch nur einen Hauch Erfahrung haben, würden vermutlich genau das auch tun. Doch später erfahren wir, dass der Mönch, an den wir unser kostbares Nahrungsmittel verschwendet haben, eine ziemlich miese Ratte ist, verärgern einen unserer Freunde und haben nichts mehr zu verschenken, als wir schließlich jemand anderes treffen, der es viel nötiger gehabt hätte.

Anderes Beispiel: Nach einem langen qualvollen Ritt zum Bischofspalast, nehmen wir gedankenverloren einen Apfel mit, um es dem geschundenen Pony zu verfüttern. Weil man solcherlei in Adventures eben macht. Doch mehrere Kapitel später werden wir auf einmal dafür des Diebstahls bezichtigt.

Grundlegende Auswirkungen auf die Geschichte hat das zwar in den meisten Fällen nicht – die ist schließlich durch die Romanvorlage weitgehend vorgeschrieben – sehr viel stärker und vor allem offensichtlicher als die Telltale-Spiele nimmt Pillars of the Earth aber immer wieder in den Dialogen auf solcherlei Entscheidungen Bezug, sodass zumindest der Eindruck entsteht, zwar nicht den kompletten Handlungsverlauf, aber zumindest das enge Geflecht dazwischen zu beeinflussen. Vergleichbar etwa mit Until Dawn.

So lässt sich immerhin ein komplettes Kapitel überspringen, wenn man die richtige (oder falsche?) Entscheidung getroffen hat, und vor allem das Verhältnis zu den vielen Nebenfiguren, ob sie einem freundlich, argwöhnisch, ablehnend, dankbar oder herablassend gegenüber auftreten, entscheidet man selbst durch seine Taten. Oft erfährt man erst in der Auswertung am Ende eines jeden Kapitels, dass man eine folgenschwere Entscheidung getroffen oder etwas übersehen bzw. nicht ganz optimal gelöst hat, und möchte am liebsten gleich nochmal zurück, um es besser zu machen.

Game of Thrones in der Lindenstraße

Die Geschichte hält sich ansonsten natürlich an die Vorlage, wenngleich Daedalic verspricht, dass sie im späteren Verlauf durch eure Entscheidungen auch stärker davon abweichen kann, indem beispielsweise ein Nebencharakter überleben könnte, der im Buch eigentlich stirbt. Mit seinen 50 Jahren, die die Geschichte insgesamt umspannt, den zahlreichen Figuren und ihren Intrigen, Machtkämpfen und persönlichen Verwicklungen ist „Die Säulen der Erde“ zwischen epischer Mittelalter-Saga und Hochglanz-Seifenoper einzuordnen, also irgendwo zwischen Game of Thrones, Die Tudors und Borgia.

Dass gerade auch Fans des Buches, die die Geschichte und ihren Ausgang schon kennen, Gefallen an dem Spiel finden dürften, liegt vor allem an der Grafikpracht, die Daedalic hier einmal mehr zelebriert. Um das Mittelalter mit seinen Widersprüchen zwischen architektonischem Prunk und sozialer Kälte einzufangen, hat man sich dort für einen Stil entschieden, der den Realismus nur so weit streift, als er direkt der Epoche entsprungen scheint: Die Hintergrundgrafiken sind den Ölgemälden der damaligen Zeit nachempfunden, mit ihren noch klar erkennbaren Farbklecksen und dem Hang zur Schwärmerei. Nur die Zeichentrickfiguren wirken darauf für meinen Geschmack mitunter wie ein Stilbruch.

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