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Test - Paranoia: Happiness Is Mandatory : Urkomisch, bitterböse, zynisch, philosophisch

  • PC
  • PS4
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Zynisch wäre noch untertrieben. Der inzwischen als Klassiker bekannte Pen-and-Paper-Rollenspiel-Stoff aus der Feder von Eric Goldberg, Dan Gelber und Greg Costykyan wirft sämtliche moralischen Grundfesten unserer Gesellschaft über Bord und ersetzt sie durch eine Knebel-Weltanschauung, bei der Orwells 1984 wie ein Kinderbuch wirkt. Das entbehrte sicher nicht einer gewissen Komik der Sparte Galgenhumor, wenn einem bei Paranoia: Happiness is Mandatory nicht das Lachen im Halse steckenbliebe.

Welch eine bizarre Welt. Das Geschehen in Paranoia entfernt sich so weit von den Konventionen der heutigen Gesellschaft, dass parabelartige Vergleiche schwerfallen. Ob der Stoff überhaupt als philosophische Grundlage taugt, sei mal dahingestellt, schließlich geht es nicht um eine Romanvorlage, sondern um die Handlung eines Pen-and-Paper-Rollenspiels, das Mitte der Achtzigerjahre aus der Taufe gehoben wurde.

In dieser bizarren Zukunftsvision besteht die Bevölkerung überwiegend aus Klonen, die als Arbeiterdrohnen ihr Dasein fristen. Ein großer Computer, der als Freund, aber auch als paranoide Vaterfigur angepriesen wird, teilt jedem eine Bestimmung zu und bewertet das Treiben jedes Einzelnen. Nur wer dem System gegenüber loyal bleibt, verlängert seine Existenzberechtigung. Dabei ist Fröhlichkeit Pflicht, denn schlechte Laune gilt bereits als Verrat. Eine schwierige Vorgabe in einer Gesellschaft ohne das kleinste Fünkchen Zuneigung und Vergnügen. Da hilft nur die regelmäßige Einnahme glücksspendender Pillen.

Der paranoide Computerherrscher

In der Welt von Paranoid gibt es nicht nur einen Computer, sondern mehrere, die jeweils für sich ein Territorium beherrschen. Jeder dieser Computer sieht sich als legitimer Alleinherrscher und besteht auf Einhaltung seiner Doktrin innerhalb seines abgeschotteten Komplexes. In der vorliegenden Spielumsetzung geht es allerdings nur um die Geschehnisse des sogenannten Alpha-Komplexes, der mit eiserner Faust regiert wird. Wer einem anderen folgt, ja gar eigene Wertvorstellungen pflegt oder auf andere Weise aus der Reihe tanzt, gilt als Verräter. Denunziantentum ist an der Tagesordnung und Teil des gesellschaftlichen Aufstiegsprozesses.

Harter Stoff, geboren in den letzten Jahren des Kalten Krieges und dadurch in seiner Motivation nicht mehr so gut nachvollziehbar wie noch in den 80ern. Heute, in Zeiten von Facebook und Co., wirkt der Stoff sogar noch zynischer als damals. Vielleicht liegt genau darin ja die Motivation zur aktuellen Neuauflage.

Die Entwickler von Cyanide und Black Shamrock versuchen, bei ihrer PC-Umsetzung mit dem Untertitel Happiness is Mandatory so viel Humor wie möglich zu transportieren, damit die Grausamkeit hinter alledem erträglicher wird. Kaum ein Dialog findet ohne Seitenhieb statt, der Humor ist tiefschwarz und teils gruselig, was ein herausragendes Alleinstellungsmerkmal darstellt. Trotzdem will der Funke nicht so recht überspringen.

Liegt es an der Präsentation? Nun, die isometrische Vogelperspektive mit ihren winzigen Spielfiguren und sparsamen Animationen trägt nicht viel zur Stimmung bei, so viel sei gesagt. Sie erinnert gelegentlich an die Super-Nintendo-Umsetzung von Shadowrun, wenn auch ohne dessen düsteren Touch. Viele Grafikelemente ähneln sich, selbst die Porträts der Klone weichen nur marginal voneinander ab. Vielleicht ist das ja Absicht, aber es erzeugt nicht viel Begeisterung, zumal der Comicstil etwas grob wirkt. Viel mehr ist sowieso nicht vorhanden. Endlose Texte, die nur selten durch Sprachausgabe unterlegt werden, vermitteln alles, was für das Verständnis nötig ist. Ganz schön trocken.

Mit sechs Klonen durch das Spiel

Ihr beginnt das Spiel als einer von vielen Klonen mit der Berufsbezeichnung „Troubleshooter“, wobei ihr eine von drei Vorlagen wählen dürft. Als erster Klon aus einer Reihe von maximal sechs verteilt ihr nach Gutdünken einige Attribut-Punkte, die euch Vorteile als Führungskraft einbringen oder dabei helfen, Ausrüstung und Heilungsgegenstände zu beschaffen. Zudem werdet ihr mit einer Mutation vertraut gemacht (in unserem Fall eine Telekinese-Kraft) und müsst euch dem großen Computer vorstellen.

Der Computer schickt euch in diversen Missionen in die Abteilungen seines Komplexes, um Missstände zu klären. Meist geht es um das Ausfindigmachen (und das Terminieren) von Abtrünnigen, was allein nicht zu bewerkstelligen ist. Darum zieht ihr in Begleitung von drei Partymitgliedern in die Schlacht, die sich an den Echtzeit-Scharmützeln beteiligen. Ausgerüstet mit Laserkanonen und Spezialwaffen geht ihr Robotern und weiteren Klonen im Fernkampf ans Leder, müsst dabei Stellung- und Deckungsstrategien folgen sowie die Feuerkraft eurer Teamkameraden abschätzen. Geht ein Kämpfer eurer Party über den Jordan, so ist er nämlich dauerhaft tot und kann erst bei einer Neuzuteilung ersetzt werden.

Gedankenloses Vorpreschen ergibt somit wenig Sinn – in mehrerer Hinsicht. Als Klon der untersten Berechtigungsstufe (Klasse Rot) habt ihr anfangs wenig Bewegungsfreiheit und müsst aufpassen, eure Befugnisse nicht zu überschreiten, denn auch das gilt schon als Verrat. Jeder Fehltritt wird aufgezeichnet und in einer prozentualen Bewertung festgehalten. Erreicht sie 100%, verurteilt euch der Computer zum Tode, wodurch der nächste der fünf Kopien übernehmen darf, sofern ihr die laufende Mission nicht komplett von vorne beginnt.

Frei von Verrat zu bleiben, ist derweil ziemlich schwer, weil überall andere Verräter lauern können. Etwa solche, die sich in Geheimgesellschaften zusammenschließen und versuchen, die Herrschaft des Computers zu beenden. Der regelmäßige Kontakt mit solchen Individuen steigert den Verratslevel, weil man nie unbeobachtet bleibt. Selbst jene Mitstreiter, die man sich in die vierköpfige Kampfparty holt, können die Hauptfigur zwecks gesellschaftlichen Aufstiegs denunzieren – auch wenn gar keine Absicht des Verrates vorliegt.

Manchmal muss man Regeln übertreten, um eine Mission abschließen zu können. Auf Schweigegelöbnisse der Teammitglieder ist nicht viel Verlass, wie sich in der Nachbesprechung der Mission zeigt. Der Versuch, sich vor dem Computer zu rechtfertigen, geht meist nach hinten los. Das ist zwar manchmal urkomisch, aber auch ziemlich zermürbend, wenn es um den Spielfortschritt geht.

Happiness is a warm gun

Witze reißen? Sarkasmus? Sich beschweren? Das Ziel einer Mission anzweifeln? All das gilt als Verrat. Ihr müsst also genau aufpassen, was ihr wem gegenüber in den Multiple-Choice-Gesprächen von euch gebt und wie ihr in potenziell verräterischen Situationen agiert. Ihr habt keinen Spielraum, euch einfach wild durch die Konversationen zu klicken.

Im Umkehrschluss erwartet der Computer von euch, dass ihr sämtliche Abweichungen anderer Arbeiter meldet. Verschweigt ihr etwas, so gilt auch das als Verrat. Zumindest, wenn eine Abweichung zutage kommt, was nicht immer der Fall ist. Die Verstrickung zwischen gesellschaftlichen Vorgaben, der Kenntnis von Abtrünnigen und der Geheimhaltung eigener Fehltritte verwandelt den Spielablauf in einen interessanten, ja, geradezu verzwickten Drahtseilakt.

Eine gute Prämisse für ein Rollenspiel, nur scheitert der Spielablauf an einigen technischen Macken. Das fängt bei der reinen Ansichtssteuerung an, die am Joypad umständlich wirkt und immer wieder dazu führt, dass man die eigene Spielfigur aus den Augen verliert, sobald man die Umgebung erkundet. Erst recht aufgrund der Wegfindung, die Partymitglieder an allen erdenklichen Hindernissen einklemmt und zu nervigen Befreiungsmanövern zwingt. Mit der Maus entgeht man einigen dieser Schwächen, muss dafür aber bei Gefechten öfter mit dem HUD interagieren und mit ständigem Anklicken von Zielen Vorlieb nehmen. Beide Varianten fühlen sich nicht ideal an, aber mit der Maus steuert sich das Spiel schon ganz okay.

Paranoia: Happiness is Mandatory - Reveal Trailer

Führe in Paranoia: Happiness is Mandatory ein Team aus vier Troubleshootern zweifelhafter Loyalität an.

Ein weiteres Manko ist die Regelung des Fortschritts. Paranoia speichert den Hergang aller Missionen selbstständig, allerdings immer nur zwischen den Hauptmissionen und in den Zyklen der virtuellen Tage, die die Hauptfigur durchläuft. Da jeden Tag mehrere Missionen anstehen, läuft ihr ständig Gefahr, nach einem Scheitern längst erledigte Taten wiederholen zu müssen – inklusive langer Laufwege und zehrender Gespräche mit NPCs, Missionsbriefings, Reports und allem, was dazugehört. Angesichts des Drahtseilakts bei Gesprächen und der Tatsache, dass ein Teil des Erfolgs in Gefechten auf Würfelglück basiert, verzeiht man das den Spieldesignern nur ungern.

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