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Special - Weibliche Helden - Kolumne : Unser Problem mit Frauen

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Neulich sah ich einem meiner Gameswelt-Kollegen beim Spielen von The Legacy of Kain: Soul Reaver zu. Er nahm Szenen für unser PlayStation-1-Special auf. Raziel, unser ″Held″ in diesem Klassiker, ist dank eines kleinen Unfalls weit, weit weg vom Vampir-Schönheitsideal eines ″Twilight″-Edward. Extrem abgemagert läuft er mit einer selbst für Blutsauger sehr ungesunden Hautfarbe herum und ihm fehlt der komplette Unterkiefer – was ihn nicht gerade zum Traumliebhaber der Frauenwelt macht. Ohne Unterkiefer küsst es sich eben schwer.

All diese oberflächlichen Makel störten die Spieler damals aber nicht. Ganz im Gegenteil: Die abstoßende Erscheinung diente der Geschichte und machte die Figur glaubhafter. Das ist ein Prinzip, das wir schon lange aus Büchern, Filmen und Serien kennen: Besetze die Rollen auch optisch passend, selbst, wenn sie nicht hundertprozentig dem Schönheitsideal entsprechen. Sonst gäbe es keinen Gérard Depardieu, keinen Danny DeVito, keinen Jean Reno, keinen Bill Murray, keinen Michael Cera, keinen Nicholas Cage und wie sie nicht alle heißen.

Aber auch keine Meryl Streep, Helen Mirren oder Jodie Foster (auch wenn man in ihrem speziellen Fall durchaus streiten kann) – und ″Roseanne″ Barr würde immer noch Schaufenster in Denver dekorieren. Für die Glaubhaftigkeit geht man im Film – ohne zu zögern – bekanntermaßen auch gerne so weit, eine weit überdurchschnittlich schöne Frau wie Charlize Theron so sehr zu verunstalten, dass sie in einem Film wie ″Monster″ nicht deplaziert wirkt. Das Ergebnis sind starke Geschichten auf der großen Kinoleinwand, von denen es leider auf unseren heimischen Videospielbildschirmen immer noch viel zu wenige gibt.

Bikini-Traumwelten

Ich vertrete keinesfalls die Meinung, dass je ″hässlicher″ eine Figur ist, desto besser wäre die Erzählung. Ich bin aber der Meinung, dass sich die Videospielindustrie unnötigerweise selbst Fesseln anlegt, wenn sie sich weiter an ihr extrem eingeschränktes Frauenbild klammert. Das ist logisch leicht nachzuvollziehen: Wenn nur wenige Figurenvarianten zur Auswahl stehen, stehen dem Erzähler auch nur wenige Handlungsvarianten zur Verfügung – zumindest, wenn man glaubhafte, mitreißende Geschichten erzählen will. Oder anders ausgedrückt: Eine Welt, in der nur Models herumlaufen, nimmt niemand ernst.

Das ist auch mit einer der Gründe, weshalb sich Frauen so viele Jahre so schwer mit dem Medium Videospiele getan haben. Gar nicht so sehr, weil weibliche Helden in Spielen gerne auf dicke Brüste und schmale Hüften oder typisch zierliche bis übertriebene Modelmaße beschränkt werden – was sich übrigens auch mit der neuen Lara Croft nicht geändert hat -, sondern weil diese Spiele auf oberflächliche Betrachter schlicht und ergreifend lächerlich, kindisch und deshalb wie Zeitverschwendung wirken. Es ist, als würde man versuchen ″Inception″ mit ″Baywatch″-Babes zu erzählen. Wer könnte das noch ernst nehmen?

Von Ivy zu Rufus

Inzwischen gibt es viele weibliche Spieler und die meisten stören sich nicht an einer dickbrüstigen Ivy in Soul Calibur oder ähnlich kindlich naiven Teenager-Jungen-Fantasien. Und die möglicherweise naheliegende Schlussfolgerung, man müsse nun mehr halbnackte Kerle in Videospielen zeigen, ist ein männlicher Irrglaube – fehlgeleiteter Pseudo-Feminismus. Wenn der männliche Shepard nun grundsätzlich mit freiem Oberkörper durch Mass Effect laufen würde, würde das nicht mehr Frauen zum Zocken bringen, sondern wieder lächerlich und unglaubwürdig wirken.

Zudem gibt es bereits reichlich schöne Männer in Videospielen. Genauso wie es reichlich schöne Frauen in Videospielen gibt. Aber wo sind die weiblichen Pendants zu Figuren wie Leisure Suit Larry oder dem eingangs erwähnten Raziel? Wieso finde ich zwar einen fetten Rufus mit lächerlicher Frisur in Street Fighter IV, aber auf der Frauenseite befinden sich nur Models, von denen höchstens die charikiert kräftigen Beine einer Chun-Li vom Standard abweichen?

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