Die Warum-Fragen bleiben. Warum wird Sebastian Castellanos von einem Kriminalfall in einen real gewordenen Albtraum gezogen? Warum wird er von missgestaltenen Kreaturen verfolgt und terrorisiert? Warum genau passiert das alles? Erwartet nicht, darauf eine konkrete Antwort zu erhalten. The Evil Within wirft euch immer wieder kleine Story-Schnipsel vor die Füße. Auch wenn ihr diese aufmerksam gesammelt habt, so bleibt das große Ganze ein Wirrwarr aus Erinnerungen und übernatürlichen Erscheinungen, die eure Fragen nur stellenweise beantworten.
Frühere Werke von Mikami waren in puncto Erzählung noch nie herausragend. Doch The Evil Within nutzt das konfuse Story-Gerüst, um spielerisch davon zu profitieren. Das Zusammenspiel aus Wahnvorstellungen und Visionen gibt Mikami und seinem Team die Möglichkeit, wild durch eine Vielzahl von Szenarien zu springen, die nur lose zusammenhängen. Es ist der stetige Wechsel zwischen verlassener Krankenstation, lichtdurchfluteten Häuserschluchten und anderen, mitunter bildgewaltigen Szenarien, die euch zum Staunen bringen und die bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurden. Selbst hier macht sich der Einfluss von Resident Evil 4 bemerkbar.
The Evil Within gelingt es sogar, sein großes Vorbild in Sachen Abwechslungsreichtum zu übertrumpfen. Doch es zollt ihm auch Tribut. Der Fokus auf Erkundung schwindet mit der Zeit und mit ihm auch ein Teil der Interaktion. Diese Fahrlässigkeit hätte durch gute Rätsel aufgefangen werden können. Doch dem ist nicht so. Wie die Action-Passagen sind auch die Rätsel in ihrer Ausführung etwas gewöhnlich und nur selten kreativ. Einzig ihre Aufgabe, euch zur Ruhe kommen zu lassen, erfüllen sie mit Bravour. Doch letzten Endes tragen auch sie einen Teil dazu bei, dass The Evil Within spielerisch nie in Schieflage gerät und zu ertrinken droht.
Nichts verlernt
Shinji Mikami weiß, was er tut. Viele Elemente in The Evil Within sind erprobt und funktionieren. Das Aufrüsten von Waffen oder der eigenen Gesundheit beispielsweise. Oder die Anspielungen an frühere Resident-Evil-Episoden. Mikami selbst weiß um seine früheren Verdienste und scheut sich nicht, sie euch immer wieder unter die Nase zu reiben. Das wirkt manchmal etwas selbstverliebt, aber vielleicht möchte Mikami nur darauf aufmerksam machen, dass die Zukunft der Horrorspiele in der Vergangenheit liegt. Wie sonst ließe sich all das deuten?
Betrachtet man The Evil Within im Gesamten, so stellt man fest, dass hier die Tugenden vergangener Tage auf die Ansprüche der Gegenwart treffen. Es stürmt nicht so schnell voran, wie es heutige Spiele tun, sondern verknüpft atmosphärische Abschnitte mit seichten Rätseln und gelegentlich lauten und teils krawalligen Action-Passagen. Es zelebriert mitunter Gewaltexzesse, wie man sie aus heutigen Horrorfilmen kennt, und scheut sich auch nie, genau darauf zu zeigen. The Evil Within ist das Bindeglied zwischen Survival-Horror von früher und heute.
Shinji Mikami wollte mit The Evil Within dem Survival-Horror ein neues Denkmal errichten, das er neun Jahre zuvor mit Resident Evil 4 demontierte. Das ist ihm größtenteils auch gelungen. Die Anspannung in The Evil Within ist fast allgegenwärtig. Getragen wird all das von abwechslungsreichen und zuweilen interaktiven Umgebungen. Der Titel ist sowohl beim Spiel-Design als auch in Bezug auf die Gewaltdarstellung unerbittlich. Manchmal kann ein Fehler den Tod bedeuten. So wird jeder eurer Entscheidungen mehr Gewicht beigemessen. Genau das zeichnet Survival-Horror aus. All das in Kombination mit dem guten Ressourcen-Management zeigt, dass Shinji Mikami sein Versprechen gehalten hat. Überschattet wird es nur von gelegentlichem Action-Ballast, der manchmal etwas plump daherkommt, und zunehmender Linearität. The Evil Within ist eine Hommage an frühere Projekte des Japaners, liefert aber noch genügend Alleinstellungsmerkmale, um nicht als bloße Kopie zu gelten. Im Großen und Ganzen ist Shinji Mikami ein gutes Horrorspiel gelungen, das nicht nur von Fachkompetenz zeugt, sondern auch den Spagat zwischen Vergangenheit und Moderne vollzieht.
Shinja Mikami ist der Urvater der modernen Horrorspiele. The Evil Within ist nicht seine Mona Lisa, aber ein sehr gelungener Versuch, alte Genre-Tugenden in ein modriges, blutiges und modernes Gewand zu hüllen. Persönlich hätte ich gerne mehr klassischen Psychohorror, denn The Evil Within setzt vermehrt auf offensiv dargestellte Gewalt, was für mich nicht zwingend der Grundstein eines guten Horrortitels ist. Dennoch schafft es das Team rund um Mikami, dass The Evil Within nicht zu einem stumpfen „Hostel“-Gewaltpornoabklatsch wird. Gerade die ruhigen Momente des Titels zeugen von dichter Atmosphäre und besitzen eine großartige Strahlkraft, die stellenweise für Gänsehaut sorgt.
Es ist zudem schön zu sehen, wie The Evil Within mit Erwartungen des Spielers spielt: Man wartet darauf, dass der erste scheinbar tote Widersacher erneut aufspringt, um zu attackieren. Man wartet darauf, dass blutüberströmte Hunde durch Scheiben krachen. Man wartet darauf, dass hinter der nächsten Ecke eine tödliche Falle wartet. Doch es passiert nicht. Das ist sehr positiv, weil der Horror dann meist im Kopf stattfindet. The Evil Within ist einer meiner Horrorhöhepunkte der vergangenen vier Jahre. Gerade durch die Anspielungen an Genre-Klassiker wie Silent Hill, Resident Evil oder Alone in the Dark und durch das Brechen mit einigen Genre-Konventionen wirkt The Evil Within "erfrischend bekannt". Zudem möchte ich mich bei Mikami für die schönste Resident-Evil-Spielehommage bedanken, die ich bisher in einem Spiel gesehen habe: Wer The Evil Within spielt, wird sofort merken, was ich damit meine.
Überblick
Pro
stimmige Atmosphäre
toller kompromissloser Einstieg
viele unterschiedliche Szenarien
rauer, dreckiger Grafikstil
gute Mixtur aus Gore- und Psychohorror
funktionierendes Ressourcen-Management
viele Anspielungen auf frühere Mikami-Spiele
viele Spielsituationen können lautlos oder mit Waffengewalt gelöst werden
dynamische Licht- und Schatteneffekte
Contra
wirre Story, die nicht gut aufgelöst wird
zu leichte Rätsel
manch Action-Passage doch etwas plump
gewöhnungsbedürftige Laufanimation
nachladende Texturen in Zwischensequenzen
gelegentliche Clipping-Fehler
wird zum Ende hin sehr linear
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