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Test - Paper Beast : Das vielleicht schönste Spiel des Jahres

  • PS4
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Die Wahrscheinlichkeit ist relativ hoch, dass du noch nie von Paper Beast gehört hast und in erster Linie nur wegen der Überschrift oder des hübschen Artworks auf diesen Artikel geklickt hast. Vielleicht aber ja auch, weil du dich an unsere Top 10 "Geheimtipps der letzten Gamescom" erinnerst. Dort landete Paper Beast auf dem ersten Platz. Die erste Viertelstunde des Spiels durfte ich damals anspielen und wurde selten von einer Demo so beeindruckt und ergriffen zurückgelassen wie von dieser. Hoffentlich würde sich dieser Eindruck in der Vollversion fortsetzen, dachte ich mir damals. Nun habe ich es durchgespielt und kann begeistert berichten: Tut er!

„Wow“, war das Einzige, das ich damals nach dem Ende der Anspieldemo über die Lippen brachte, bevor ich erstmal ein paar Augenblicke schweigen und andachtsvoll die Eindrücke verarbeiten musste. So wunderschön, herzergreifend und einzigartig war dieses Playstation-exklusive VR-Spiel, dessen Demo in einem furiosen Finale endete, dass einem Hören und Sehen vergeht. Dafür wurde VR erfunden!

Mir gegenüber saß Eric Chahi, der Entwickler des Spiels, der genauso grundsympathisch und liebenswert rüberkommt wie sein Spiel. Wem der Name nichts sagt, dem ist bestimmt zumindest sein bekanntestes Werk ein Begriff: Another World, dieses 2D-Action-Adventure in seinerzeit bahnbrechender Polygongrafik, das bereits 1994 erschien, aber bis heute immer noch neu aufgelegt wird und daher wahrscheinlich als das einzige Spiel gelten darf, das auf mehr Plattformen veröffentlicht wurde als Skyrim und Doom zusammen. Gefühlt zumindest.

Sein letztes Spiel From Dust liegt mittlerweile schon neun Jahre zurück. Die Götter-Simulation wurde seinerzeit für ihren malerischen Look, ihre verträumte Atmosphäre und die cleveren Spielmechaniken gepriesen, und wenngleich es sich bei Paper Beast um ein gänzlich anderes Spielerlebnis handelt, finden sich viele dieser herausstechenden Merkmale auch darin wieder.

Origamic Park

Paper Beast ist im Kern ein Puzzle-Adventure wie Portal oder Superhot, das clevere Rätselmechaniken einander in immer komplizierteren Situationen aufschaukeln lässt, das Ganze in einer malerisch schönen Spielwelt, die zu durchwandern wie in Journey allein schon ein Erlebnis für sich darstellt und die auf faszinierende Weise mit KI-simulierten Origami-Tieren bevölkert wird. Die Interaktion mit ihnen, sie zu beobachten, wie sie sich scheinbar real wie echte Tiere verhalten, bei Kontakt scheuen, miteinander rangeln, vor Raubtieren flüchten, sich neugierig anpirschen und wieder zurückweichen, das bildet das Herz und die Seele der einzigartigen Erfahrung von Paper Beast - aber auch das Zentrum seiner schlau ausgedachten Rätsel.

Paper Beast beginnt inmitten einer Wüste, ähnlich der, die uns schon in Journey ins Staunen versetzte. Über uns ein pastellfarbener Himmel, in dem die Wolken wie bunte Ballen aus Zuckerwatte hängen und davon künden, dass diese Welt, in der wir uns befinden, nur entfernt mit der unseren verwandt ist. Laut Hintergrundgeschichte handelt es sich bei ihr um einen Cyberspace, in den verlorene Daten rinnen wie durch einen Gulli, sich dort ansammeln und schließlich eine neue Form von virtuellem Leben bilden, das aus sich selbst heraus entsteht und existiert.

Der poetisch-philosophische Unterbau von Paper Beast bildet das diffuse Hintergrundrauschen in dieser Welt, die vordergründig vor allem Bühne und Lebensraum ist für die phantastischen Kreaturen, die sie bevölkern. Wenngleich sie in ihrer papiernen Beschaffenheit bizarr und fremdartig wirken, scheinen sie doch vom ersten Moment an vertraut, verhalten sie sich wie Wesen, die wir aus eigener Erfahrung kennen: eine Giraffe, die ihren langen Hals herabsenkt und uns neugierig beäugt, ein Vierbeiner, der sich im Rudel mit seinen Artgenossen wie ein verspielter Hund verhält, ein Mistkäfer, der den Wüstensand zu Kugeln formt und vor sich her transportiert, ein wuscheliger Bandwurm, der den Sand mit seinem Kopf einsaugt und am Schwanzende ausscheidet …

Das Design dieser Kreaturen bildet nichts weniger als das Herz und die Seele dieses Spiels: Wie zum Leben erweckte Origami-Tiere bestehen sie ausschließlich aus gefaltetem Papier, das ihre Körper als eine skelettartige Anmutung in grotestker Abstraktheit formt. Um diese Tiere, ihre natürlichen Eigenschaften und die Art und Weise, wie sie mit der simulierten Physik dieser Welt interagieren, dreht sich alles in Paper Beast. Werft ihr den Wölfen ein Leckerli in Form zerknäulten Papiers vor, lenkt ihr sie damit ab. Befreit ihr die Giraffe von Schlingpflanzen, wird sie euch wohlgesonnen. Mistkäfer rollen den Sand in Kugeln vor sich her und türmen ihn zu einer Rampe auf, über die ihr höher gelegene Orte erreicht. Das Raubtier müsst ihr mit einer Leine an den Baum binden, damit die Pflanzenfresser bis zur Oase passieren können.

Auch die Physik spielt ähnlich wie schon in Chahis letztem Spiel From Dust eine zentrale Rolle innerhalb der vielzähligen Rätselmechaniken. Grabt ihr eine Schneise in den Sand, um dadurch einen Bach zu einem Baum umzuleiten, steht dieser wieder in voller Blüte und lockt die Tiere an, die in seinem Schatten wieder zu Kräften kommen. Bindet ihr die federleichten Hunde mit Lianen an die schweren Schildkröten, werden sie im Schlepptau durch die stürmische Schlucht gezerrt, aus der sie ansonsten direkt wieder heraus geweht würden. Schmelzt ihr eine Eiswand mit einer Feuerkugel, gibt sie den Weg dahinter frei.

Auf diese Weise stellt euch Paper Beast in seinen etwa 20 kleinen Kapiteln vor immer neue Herausforderungen, die es auf immer wieder neue und kreative Weise zu lösen gilt. Meistens sind sie ausgesprochen originell, gelegentlich auch richtig knifflig, selten mal nervig, wenn es die Umwelt mit dem Sturkopf der physikalischen Korrektheit übertreibt.

Immer aber ist Paper Beast traumhaft schön. Das Spiel der französischen Entwickler von Pixel Reef versteht sich nicht nur als ein cleveres Rätselspiel und eine faszinierende Simulation von Künstlicher Intelligenz, sondern vor allem auch als berauschende ästhetische Erfahrung einer virtuellen Welt. Wie nur VR dazu in der Lage ist, versetzt Paper Beast regelmäßig in eine fast schon vergessen geglaubte Form des Staunens, wie es nur ein Kind nachvollziehen kann, das zum ersten Mal in seinem Leben einen Regenbogen oder ein Sommergewitter erlebt.

Im Rausch der Sinne

Der erste dieser Momente, die den Spieler atemlos zurücklassen, inszeniert Paper Beast nach etwa zehn Minuten wie einen Paukenschlag, der auch den Höhepunkt der Gamescom-Demo bildete, die mich seinerzeit schon sprachlos zurückließ: Ein Orkan bricht los, man selbst qua Virtual-Reality mitten in seinem Zentrum, der Sand braust unter ohrenbetäubendem Getöse aus allen Richtungen, dass einem Hören und Sehen vergeht. Die papiernen Tiere werden von ihm gnadenlos in die Luft gerissen und fortgetragen. Dann frisst sich der Sturm in den Boden, bohrt einen Schlund hinein, direkt zu euren Füßen, verschluckt allen Sand, alle Sträucher und die Felsen und reißt sie in die schwarze Tiefe, die sich endlos auszudehnen scheint.

Immer wieder gelingen Paper Beast solcherlei Momente, die alle Sinne gleichzeitig überwältigen: An einer Stelle baut ihr euch einen Heißluftballon und fliegt mit ihm über diese verwunschene Welt, als würdet ihr ein Gemälde schwebend durchreisen. Eine Szene nimmt euch mit unter Wasser und eines zum Mittelpunkt der Welt, an dem ein Malstrom aus verwaisten Daten durch die Tunnel wie Blut durch die Adern des Planeten rauscht.

Paper Beast - State of Play Gameplay Trailer

Paper Beast ist ein Sandbox-Erlebnis für PlayStation Vr, in dem ihr mit eigentümlichen Papierkreaturen in ihrer Umwelt interagiert.

Vier Stunden dauert Paper Beast in etwa nur. Ein bisschen zu wenig, um alle Rätselmechaniken zur vollen Entfaltung zu bringen und ihre Möglichkeiten auszuschöpfen. Doch bis auf einige wenige etwas zähe und mühselige Physikrätsel ist jede einzelne Minute ein Genuss, der Herz und Hirn gleichermaßen anspricht. Für danach gibt es noch einen Simulationsmodus, in dem ihr eure eigene Welt erschaffen und Tiere darin aussetzen dürft, um zu beobachten, wie sie sich verhalten, und um allerlei Schabernack mit KI und Physik anzustellen. Ob sich daraus aber eine über längere Dauer unterhaltsame Beschäftigung ergibt, wage ich zu bezweifeln.

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