Länderauswahl:
Du wurdest von unserer Mobile-Seite hierher weitergeleitet.

Test - Pokémon Karmesin / Purpur : Fluch und Segen der offenen Welt

  • NSw
Von  |  |  | Kommentieren

Mit Karmesin und Purpur wagt Game Freak eine kleine Revolution innerhalb der Reihe. Eingefleischte Anhänger der Taschenmonster jubelten im Vornherein bereits: endlich eine offene Welt, endlich mehr Freiheiten, endlich keine Vorwürfe mehr, die Reihe stecke in der Vergangenheit fest. Die beiden neuen Editionen rütteln auch ordentlich am Serienkäfig, vergessen dabei alte Stärken aber ebenso wenig wie bekannte Schwächen. Oder, um das Phrasenschwein mal wieder zu befüllen: Fans werden ihren Spaß haben, Hater finden noch immer genügend Angriffsfläche.

Seit 1996 träumen Kinder davon, der Allerbeste zu sein, wie keiner vor ihnen war. Die Pokémon-Marke ist seit über 25 Jahren fest in der Popkultur verwurzelt und auch wenn ihr Ursprung in Videospielen liegt, feiert sie dank Animes, Merchandise und sogar Vergnügungsparks ständig neue Erfolge. Ein weltweites Phänomen, das auch den Autor dieser Zeilen seit seiner frühesten Kindheit begleitet.

Einen Makel gibt es dann aber doch an den Spielen selbst: Seit der ersten Generation leiden sie unter Innovationsarmut und extremer Gleichförmigkeit. Mit Pokémon: Legenden Arceus verwies Game Freak die Kritiker Anfang des Jahres jedoch in ihre Schranken. Die neuen Editionen der Hauptserie, Karmesin und Purpur, gehen nun konsequent weiter in Richtung Zukunft und fahren als großes neues Feature eine echte Open World auf. Schluss mit Linearität, Schluss mit vorgegeben Pfaden, her mit der Freiheit!

Erster Tag an der Akademie

Der Beginn der von mir gespielten Purpur-Edition könnte klassischer nicht ablaufen. Nach dem Erwachen in meinem Zimmer gibt es einen Plausch mit meiner Mutter, die mir erzählt, mein erster Tag an der Trauben-Akademie stehe bevor. Passend dazu erscheint plötzlich der Rektor dieser Einrichtung schicker Belesenheit, sein Name: Clavel. Auch er hat ein paar warme Worte für mich in petto.

Es folgen serientypisch viele Textboxen sowie kurze Einweisungen in Standards wie die Karte und den Beutel, dann geht es endlich an die Wahl des Starter-Pokémons. Ihr entscheidet euch zwischen der Florakatze Felori, dem Feuerkrokodil Krokel und der Jungente Kwaks, meine Wahl fiel auf den Flammen-Starter. Nach einem Übungskampf geht es weiter an die Akademie, wo schließlich offenbart wird, wie euer Spielziel lautet. Also abgesehen davon, der Allerbeste zu werden. Ihr begebt euch auf eine Schatzsuche. Nicht aber wie ein Pirat, vielmehr ist der Weg das Ziel. Klingt höchst philosophisch, ihr folgt aber drei fest vorgeschriebenen Pfaden, ganz in eurem eigenen Tempo.

Die erste Stunde von Pokémon Karmesin und Purpur gestaltet sich recht linear und textlastig, Raum für Abschweifungen bleibt nicht. Für Anfänger sicherlich eine willkommene Einführung, Kenner gähnen aber nur müde und klicken sich in weltmeisterlicher Geschwindigkeit durch die Texte, bis sie endlich in die Open World entlassen werden, um ihr ganz eigenes Abenteuer zu erleben.

Bevor es aber ans Eingemachte geht, noch ein Wort zur vermeintlichen Einsteigerfreundlichkeit. Zwar bekommt ihr die simpelsten Grundmechaniken erklärt, darüber hinaus müsst ihr euch Kernelemente aber müßig zusammensuchen. Wasser ist effektiv gegen Feuer, klar. Aber was hilft gegen Geist? Welche Bedeutung hat Spezialverteidigung? Wie sende ich Pokémon aus? Antworten auf diese Fragen erhaltet ihr eigentlich nur, wenn ihr den Unterrichtsstunden der Akademie beiwohnt. In diesen öden Klassenzimmer-Sequenzen erhaltet ihr die dringend nötigen Infos. Das wäre auch komfortabler gegangen.

Weg des Champs: Klassische Arenakämpfe

Die erste Route stellt im Kern Pokémon dar, wie man es kennt und idealerweise auch liebt. Insgesamt acht Arenen und deren Leiter warten darauf, von euch besiegt zu werden. Wie üblich spezialisieren sich die Obermotze bei der Wahl ihrer Taschenmonster auf einen bestimmten Typ, der dankenswerterweise auf der Map verraten wird. So bereitet ihr euer Team optimal auf die bevorstehende Auseinandersetzung vor.

In Karmesin und Purpur gibt euch Game Freak erstmals in der Reihe die Freiheit, die Arenen in freier Reihenfolge anzugehen – ein Vorteil der Open World. Allerdings, dieser Umstand zeigt sich auch in den anderen beiden Pfaden, schreibt euch das Spiel indirekt schon vor, was ihr zuerst erledigt. Denn die Levels der Leiter-Pokémon skalieren nicht, sondern sind fix vorgegeben. Selbiges gilt natürlich auch für die Mitglieder der Top 4.

Indirekt deutet die Map immerhin an, ob ihr eine Arena schon angehen könnt oder nicht. Die Beschreibungen der jeweiligen Leiter konstituieren nicht nur ihren bevorzugten Typ, sondern auch, ob sie besonders stark, sehr schwach oder irgendwo dazwischen sind. Nützlich, letztlich aber etwas zu vage formuliert, um daraus abzuleiten, ob eure Taschenmonster wirklich kräftig genug sind, was eine unschöne Trial-and-Error-Komponente mitbringt.

Bevor ihr euch in den Kampf stürzen dürft, gilt es jetzt zudem, Arenaprüfungen zu absolvieren. Die spielen sich irgendwo in der zugehörigen Stadt ab und bringen eine angenehme Abwechslung in die neuen Pokémon-Editionen. Ihr sollt in der Umgebung versteckte Pokémon finden, müsst in einem „Simon says“-ähnlichen Spielchen vorgegebene Farben drücken oder auf dem Rücken eures Reittieres eine verschneite Slalompiste in einer vorgegebenen Zeit absolvieren. Manche Minispiele sind schlechter als andere, insgesamt lockern sie das Geschehen aber gut auf.

Pfad der Legenden: Jagd auf riesige Pokémon

Auf der zweiten Route dreht sich alles um Gewürze. Genau gesagt um Geheimgewürze, die ihr von den sogenannten Herrscher-Pokémon erbeutet. Dabei handelt es sich letztlich um überdimensionierte Varianten bekannter Monsterchen wie Klibbe. Die gilt es zunächst aufzuspüren, wenn ihr den richtigen Bereich der Map betreten habt, erhaltet ihr einen entsprechenden Anruf. Dann gilt es, alles genauestens abzusuchen.

Dadurch, dass die Herrscher-Pokémon euch in ihrer Grundform bereits bekannt sein sollten, lassen sie sich ziemlich leicht besiegen, beherrscht ihr die Wechselwirkungen der Typen. Die Kämpfe gegen sie teilen sich stets in zwei Phasen auf, nach erfolgreichem Abschluss winken die heiß begehrten Geheimgewürze als Belohnung. Was die genau bringen, darüber hülle ich den Mantel des Schweigens, um euch vor Spoilern zu schützen.

Ein Rat für alle drei Story-Pfade sei euch aber gegönnt: lasst keinen Arena-Leiter, kein Herrscher-Pokémon und kein Star-Camp aus. Erst wenn ihr alle 18 Orden gesammelt habt, öffnet sich das Finale. Legt ihr also Wert auf die Credits und das anschließende Endgame, müsst ihr die Schatzsuche zu Ende bringen. Zumal das Auffinden der Herrscher in den meisten Fällen nicht ganz trivial ist und sogar mit minimalistischen Rätseln oder Geschicklichkeitspassagen aufwartet.

Straße der Sterne: Das neue Team Rocket

Veteranen kommt die dritte Route sicherlich auch bekannt vor, denn einmal mehr stellt ihr euch einer bösen Vereinigung entgegen, die finstere und nebulöse Machenschaften im Sinn hat. Dieses Mal hört sie auf den Namen Team Star und splittet sich in fünf Sub-Gruppierungen auf, jeweils mit eigenem Anführer, die allesamt dem mysteriösen „Big Boss“ unterstellt sind.

Um die Auseinandersetzungen mit den Unterteams möglichst gut an die Open World anzupassen, steckte Game Freak sie in Camps, die ihr säubern müsst. Zunächst gilt es, innerhalb eines Zeitlimits 30 Pokémon zu besiegen. Nicht aber in klassischen Kämpfen, sondern mit der neuen Aussende-Mechanik, zu der ich später noch komme. Ist das erledigt, geht es ans Eingemachte und die Lagerleitung fordert euch zum Kampf heraus.

Wie bei den Arenen auch haben die Obermotze präferierte Typen und auch die Levels ihrer Pokémon skalieren nicht mit. Während die eigentliche Räumung des Camps eher öde gestaltet ist, fordern die Kämpfe auf einem guten Niveau und lassen über die albernen Designs der Figuren hinwegsehen. Irsa mit ihren knallroten Flammenstiefeln sieht noch am harmlosesten aus, aber irgendwie gehört das ja auch zur Kernkompetenz der Spiele.

Verloren in der offenen Welt

Gut, Langeweile kommt dank drei Story-Pfaden also nicht auf. Aber wie sieht es jetzt mit der Open World selbst aus, die Nintendo, Game Freak und die Pokémon Company im Vorfeld so vehement beworben haben? Tja, das ist so eine Sache. Denn die Entwickler treten gekonnt in die typischen Fettnäpfchen.

Wohl am schwersten wiegt, dass Erkundung nicht anständig belohnt wird. Irgendwo eine olle TM finden oder ein Item, dass man vermutlich niemals einsetzt, das sind keine Anreize. Momente, die sich ins Gedächtnis brennen wie bei Breath of the Wild oder Elden Ring fehlen. Diese Vergleiche müssen sich Karmesin und Purpur einfach gefallen lassen, gehört doch ein Spiel zur Crème de la Crème auf der Switch, während das andere Anfang des Jahres eine der spannendsten offenen Welten überhaupt servierte.

Letztlich läuft es also auf ein Abklappern der Hotspots heraus, um alle drei Pfade möglichst effektiv abzugrasen. Aber die Bewegung durch die Welt, die ist wirklich gelungen. Von Beginn an steht euch mit Koraidon (Karmesin) oder Miraidon (Purpur) ein legendäres Pokémon als Reittier zur Verfügung. Zunächst rein als Möglichkeit zur schnelleren Fortbewegung, im Spielverlauf erhält es weitere Fähigkeiten wie Schwimmen, Gleiten und Klettern. So kommt ihr schnell und unkompliziert durch die Welt.

Das bereits angesprochene Aussenden erleichtert schnelle Levelaufstiege ungemein. Per Knopfdruck entlasst ihr das erste Taschenmonster eures Sechser-Teams und hetzt es so auf andere Pokémon, was einen Kampf aktiviert, den ihr selbst nicht steuern müsst. Kennt ihr die Levels der Viecher in der Umgebung, farmt ihr flott Erfahrungspunkte für euer gesamtes Team. Und sollte euer Erstling doch zu schwach sein, kehrt er einfach schwer verwundet zu euch zurück, geht aber nicht direkt drauf.

Komfort wird großgeschrieben

Abgesehen von den großen, offensichtlichen Änderungen trumpfen Karmesin und Purpur durch viele kleine Quality-of-Life-Verbesserungen auf. Markiert ihr einen Reisepunkt auf der Karte, dreht sich eure Figur automatisch in die entsprechende Richtung, verlasst ihr das Menü. Die Flugtaxis dienen als komfortable Schnellreise, die ihr nahezu überall anfordern könnt.

Leidet ihr an akuter Orientierungslosigkeit, hilft euch das Pokécenter aus: Hier heilt ihr nicht nur eure Pokémon und macht sie wieder fit, ihr erfragt auch die weitere Vorgehensweise. Auch, dass sie nun mit Supermärkten zusammengeschlossen wurden, ist immens praktisch, ebenso die Möglichkeit, TMs für bestimmte Attacken mit gesammelten Materialien hier zu basteln. Kleine Anzeigen, die effektive Attacken oder erlernbare Angriffe klarmachen, erleichtern das Trainerleben ebenfalls enorm.

Die Terrakristallisierungen stellen hingegen mehr ein Alibi-Feature dar. Sie funktionieren einigermaßen ähnlich wie die Gigadynamaximierung. Eines eurer Pokémon wächst dabei kräftemäßig über sich hinaus und ändert seine Form. Taktisch bietet das theoretisch Tiefe, da eure Monsterchen zusätzlich zu ihrem normalen Typ ein abweichendes Element besitzen können. Theoretisch gesprochen wechselt mein Ferkuli durch die neue Mechanik also von Normal auf Feuer.

Praktisch müsst ihr aber gezielt nach solchen Paradiestypen suchen, oftmals decken sich Haupt- und Kristall-Typ. Besonders herabgewürdigt wird die Mechanik außerdem dadurch, dass ihr sie nach einer Aufladung genau einmal benutzen dürft. Nicht pro Pokémon, insgesamt. Danach steht erst mal wieder ein Trip zum Pokécenter an, um euren Terra-Orb zu laden. Schon klar, das stellt Balancing sicher, führte bei mir aber dazu, die Kristallisierung in den meisten Fällen einfach zu ignorieren. Und die Terra-Raids sind an Stumpfheit nicht zu überbieten: Einfach so lange drauf kloppen, bis das Zeitlimit abgelaufen oder das Pokémon besiegt ist. Mit Freunden im Vier-Spieler-Koop ganz nett, sonst weitestgehend unnötig.

Das kann die Switch doch besser

Technik und Pokémon passt bekanntermaßen so gut zusammen wie Teufel und Weihwasser. Aber zumindest störten Grafik und Musik nie in einem Ausmaß, dass es den Spielspaß in Mitleidenschaft gezogen hätte. Für Karmesin und Purpur sieht es an dieser Front aber schon sehr finster aus, denn selbst die Switch bietet definitiv genügend Power für etwas mehr technischen Feinschliff, schönere Umgebungen und stabilere Bildraten.

Pokémon Karmesin / Purpur - Letzter Trailer vor dem Release - samt Ed-Sheeran-Song

Kurz vor dem Release des neuen Pokémon Karmesin / Purpur aka Scarlet / Violet gibt es noch einmal einen letzten großen, fast vier Minuten langen Trailer zum Spiel - samt Ed Sheerans Pokémon-Song "Celestial".

Der überschaubare Detailgrad der Grafik wäre ja noch in Ordnung. Dazu passt aber die extrem eingeschränkte Weitsicht nicht. Etwa 20 Meter vor eurer Figur ploppt erst das Gras auf, NPCs oder Pokémon in selbiger Distanz ruckeln mit sichtbar reduzierter Framerate durch die Gegend und die Kanten flimmern schlimmer als analoges Fernsehen im Schneesturm.

>> Top 10: Die coolsten Pokémon-Starter aller Zeiten <<

Gebiete sind unschön aneinander geklebt, was sich durch harte Übergänge bemerkbar macht. Von Schnee geht es in grüne Wiesen, von dort aus in die Wüste. Matschtexturen stehen ebenfalls an der Tagesordnung. Das alles würde mich noch nicht einmal massiv stören, könnten Karmesin und Purpur wenigstens stabile 30 Bilder pro Sekunde liefern. Aber nein, trotz all dieser Einschränkungen säuft die Bildrate oftmals spürbar ab. Und das bei einem Spiel eines Nintendo-eigenen Studios. Kritischer Treffer.

Die Dudel-Musik hingegen, die ist mir ziemlich wurst. Eine Sprachausgabe wäre nett gewesen, aber fehlt mir jetzt aber auch nicht massiv. Wenn Charaktere hingegen darauf verzichten könnten, so selten dämliche infantile Phrasen wie „Mein lieber Scholli!“ innerhalb kürzester Zeit fünfmal zu wiederholen, das würde helfen. Aber sei’s drum, so eignen sich auch die neuen Editionen wieder perfekt dafür, um nebenher eine Serie zu schauen, Musik zu hören, Bahn zu fahren oder auf das Essen im Topf zu warten.

Kommentarezum Artikel