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Special - „Shit, I did Videogames ... again“ - Kolumne : Rockstah goes Gaming #6: Die letzten 360(0) Worte

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Geparkt hatte ich taktisch klug – wie sollte es anders sein – am anderen Ende der Stadt. Ich hatte Darmstadt anders strukturiert in Erinnerung, aber irgendjemand hatte wohl die Matrix umgeschrieben. Vielleicht war ich einfach auch nur scheiße darin, mir Innenstädte zu merken. Ich hatte auch mal Offenbach mit Frankfurt verwechselt. Ich muss zugeben, da war ich sehr klein. Aber in so manch betrunkenem Fußballkopf hätte das meinen sicheren Tod bedeutet.

Ich schlenderte also ein paar 1000 Meter durch irgendwelche Gassen und fragte mich leicht panisch Richtung Saturn durch. Mein Plan, der Erste zu sein, drohte zu scheitern. Ich nahm die unzähligen Umwege, unkorrekten Wegbeschreibungen und Spaßvögel, die bei der Frage, wo denn der Saturn sei, lachend in den Himmel zeigten, still aber hasserfüllt in Kauf. Voodoo-Puppen würde ich ihnen nähen, diesen unwitzigen Hinterwäldlern. Aber nicht heute. Heute musste ich der Welt und vor allem mir selbst wieder einmal beweisen, dass ich der geilste Gamer der Welt bin. Ich trudelte im morgendlichen Nebel durch die graue Darmstädter Innenstadt und erreichte nur kurz vor Ladenöffnung den erwähnten Elektronikmarkt.

Natürlich war ich nicht der Erste. Die Ersten waren alle anderen. Dieser Mischmasch aus widerlichen Resellern und Hardcore-Nerds, die aussahen, als hätte man ein betrunkenes Mädchen in der Disko "Napoleon Dynamite" mit einem Lippenstift auf eine Serviette malen lassen, belagerten die große Glastür. Feuchte Hände tatschten auf Scheiben und dicke Menschen röchelten schwer. Stand man auf der Gegenseite, erlebte man sein eigenes kleines "Dawn of the Dead". Ein zitternder Praktikant guckte uns an und fuchtelte aufgeregt mit einem Schlüssel herum. Er schaute auf seine Uhr. „MACH JETZT AUF! ICH MUSS NOCH ARBEITEN!“, brüllte ein älterer Herr durch das Glas. Recht hatte er. Wenn der Norbert arbeiten muss, dann soll der Saturn gefälligst die Türen auch mal früher aufmachen. Die Uhr tickte und ich umklammerte das kleine Stückchen Papier fest in meiner Tasche. Es war das goldene Wonka-Ticket und ich stand vor der verfluchten Schokoladenfabrik.

Um 9:59 Uhr klimperte sich der Schlüssel ins Schloss, die großen Glastüren wurden aufgerissen und binnen Sekunden verschwand der kleine Praktikantenmensch wie Mufasa in der Gnu-Herde unter einem Strom schwitzender Männer. Man raste Richtung Rolltreppe, auf der man dann seelenruhig stehen blieb, um bei der Ankunft im oberen Stockwerk wieder mit dem Rennen zu beginnen. Ich rannte mit, auch wenn es keinen Sinn ergab. Für niemanden. Denn entweder hatte man reserviert oder eben nicht. Aber wir machten aus diesem Event unseren eigenen kleinen "Indiana Jones".

Im oberen Stockwerk angekommen stand eine Gruppe Saturn-Mitarbeiter wie eine Reihe Queen Guards vor dem Buckingham Palace schützend vor einer spärlichen Menge Kartons. Ein Mitarbeiter forderte uns auf, eine Reihe zu bilden. Ein paar hörten, ein paar rebellierten. Norbert äußerte laut den Wunsch nach einer spontanen Revolution und die wenigen verwirrten Normalkunden wackelten beschämt mit den Köpfen, weil sie nicht wussten, um was es hier eigentlich ging. Die ersten Boxen wanderten über den Tisch. Die Menge starrte angespannt hinter die Mitarbeiter und rechnete im Kopf das Verhältnis zwischen den noch vorhandenen Kartons und der Menschenanzahl in der Schlange aus. Stille Panik machte sich breit, als ein Mann mit zwei Boxen in Richtung Kasse lief. „SCHWEIN!“, rief Norbert. Man bejubelte die Pöbelei. Das Atmen wurde schwerer, die Zombiehorde torkelte noch, war aber bereit für einen möglichen Angriff. Wahnsinn machte sich breit. Ein Mann verließ plötzlich lachend die Schlange, schnappte sich ein Bundle mit der alten Xbox, hielt es lachend über seine verstrubbelten Haare und sagte mit verrückter Zunge: „Oh! Hier sind ja noch genug!“ Dann trabte er, begleitet von betroffenem Kopfschütteln, die Rolltreppe runter. Sein irres Kichern verschwand. Ein Mitarbeiter versuchte die Menge zu beschwichtigen: „Spiele haben wir aber natürlich noch genug!“ Na, was für ein Glück.

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