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Test - South of the Circle : Liebe in Zeiten des Kalten Krieges

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Während wir derzeit alle vor Hitze zerfließen, schickt uns Entwickler State of Play Games in die eisige Kälte des Südpolarkreises. South of the Circle ist ein ungewöhnliches narratives Spiel zwischen Telltale-Tradition, Walking-Simulator und Visual Novel und erscheint beim renommierten Indie-Publisher 11 bit Studios, der bereits mit Spielen wie Frostpunk, This War of Mine oder Children of Morta ein feines Näschen für kostbare Indie-Perlen unter Beweis stellte.

In den 60er Jahren, der Zeit des Kalten Krieges, bricht der Klimaforscher Peter Hamilton in die Antarktis auf, um seine Arbeit an einer Polarstation aufzunehmen. Doch kurz bevor er dort eintrifft, stürzt sein Propellerflugzeug mitten im schneebedeckten Nirgendwo ab. Es scheint nur eine Hoffnung zu geben: Er muss sich durch den eisigen Schneesturm zur nächsten Basis durchschlagen, bevor er erfriert.

Eine ungewöhnliche Spiele-Geschichte

South of the Circle gleicht in seinem Versuchsaufbau dem Film 127 Hours von Danny Boyle: Dort war der von James Franco gespielte Extremsportler Aron hilflos unter einem Felsen eingeklemmt und ließ, dem Tode nahe, sein gesamtes Leben vor dem inneren Auge Revue passieren, bis er sich mit extremen Maßnahmen aus der ausweglosen Situation befreien konnte. Auch Peter, der Protagonist von South of the Circle, erinnert sich im dichtesten Schneegestöber an die Stationen seines Lebens, die ihn nun an diesen Ort und in die aussichtslose Lage geführt haben und die wir als Spieler in regelmäßigen Rückblenden nacherleben.

Als vielversprechender junger Wissenschaftler tritt er eine Stelle als Dozent an der Cambridge University an und sorgt dort schon bald mit seinen Theorien für Furore, aber auch Unmut. Anfang der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts steckte die Meteorologie noch in den Kinderschuhen. Es gab nur wenige verlässliche Messdaten, und an Satelliten, die atmosphärische Strömungen überwachen, war noch nicht mal zu denken. Doch seine Idee, durch das Beobachten von Wolken das Wetter vorherzusagen, verheißt revolutionäre Möglichkeiten.

Da lernt er die talentierte Kollegin Clara kennen, mit der er zunächst die Einsamkeit und Verlorenheit am neuen Wohnort teilt, bald aber schon zuerst das gemeinsame Interesse an der Wetterforschung entdeckt und schließlich schüchterne Zuneigung entwickelt. South of the Circle ist trotz seines Polarabenteuers und des Kalten-Kriegs-Dramas im Herzen eigentlich eine Liebesgeschichte – was es allein schon außergewöhnlich macht. Hand aufs Herz: Wie viele Videospiele mit einer glaubhaften oder gar berührenden Liebesgeschichte im Mittelpunkt habt ihr in eurem Leben schon gespielt?

Aber South of the Circle ist vor allem auch eine Geschichte über die Zeit, in der es spielt und in der so manche Dinge nicht so einfach waren – weder Dinge der Liebe, noch die professionellen, sich als Wissenschaftler aus politischen Angelegenheit herauszuhalten. Frauen an den Unis waren damals ein Novum, das in den konservativ verkrusteten Etagen des Dekanats nicht gern gesehen waren, zumindest abseits von Sekretärinnen oder als Ziel sexueller Eroberungen, und erst recht nicht, dass Viele davon für ihre Rechte oder gar gegen Atombomben demonstrierten.

Kommunistische Verschwörer wurden hinter jeder Ecke vermutet, und wer nicht für das System war, wurde automatisch als dessen Feind betrachtet. Die Liebe von Peter und Clara wird schon bald auf eine harte Probe gestellt, als ihre Ideale in die erbarmungslosen Mühlen der politischen Maschinerie des Kalten Krieges geraten.

Doch auch in der Gegenwart überschlagen sich die Ereignisse. Als Peter die Polarstation erreicht, findet er diese offenbar in höchster Eile verlassen vor. Irgendetwas Merkwürdiges geht hier vor sich. Trotz eines weltweiten Abkommens zur friedlichen Nutzung der Antarktis scheinen die Supermächte ihren Konflikt am entlegensten Ort der Welt heimlich auszutragen.

Allein schon wegen seiner verhandelten Themen wie den Anfängen der feministischen Emanzipation, der Kommunismus-Paranoia der McCarthy-Ära und den akademischen Machtkämpfen zwischen konservativen Reaktionären und jungen Idealisten an einer britischen Elite-Uni vor dem Hintergrund des Kalten Krieges nimmt South of the Circle eine bemerkenswerte Sonderstellung in der Spielelandschaft ein. Auch wenn es mit seinen kurzen vier Stunden Spielzeit nicht mal ansatzweise deren epische Ausmaße erreicht, ähnelt South of the Circle in dieser thematischen Kombination Überlänge-Klassikern des Hollywood-Kinos wie Doktor Schiwago, Vom Winde verweht, Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins oder auch Titanic, die das Schicksal zweier Menschen vor dem Hintergrund welthistorischer Ereignisse miteinander verweben und ihre Liebe darin aufreiben.

Dass South of the Circle diese Geschichte mit viel Feingespür und ohne jeglichen Kitsch inszeniert, muss man ihm hoch anrechnen und ist sicherlich auch der Zeit geschuldet, vor deren Kulisse sie sich abspielt, in der Liebe noch nicht durch einen lässigen Swipe right besiegelt wurde, sondern sich erst wochenlang zaghaft annäherte, bevor sie erfüllt werden, gesellschaftlich aber nicht sein durfte.

Blättern Sie weiter, es gibt nichts zu seh’n

Diese erzählerische Zurückhaltung wird vermutlich jedoch dazu führen, dass Viele mit der Geschichte schlicht nichts anzufangen wissen werden, zumal sie sich wenig spektakulär und dramatisch inszeniert und in ihrer sanften Erzählweise selbst trotz der sehr kurzen Spieldauer reichlich langatmig und streckenweise ehrlich gesagt ziemlich langweilig ausfällt, was leider auch nicht spielerisch aufgefangen werden kann.

Zwar müsst ihr regelmäßig nach Vorbild von Telltale & Co. Entscheidungen treffen, doch haben diese nahezu keinerlei Auswirkungen auf das weitere Geschehen und bilden stattdessen lediglich eure vage Gemütsstimmung in Dialogen ab: reagiert ihr mitfühlend, entschlossen, zurückhaltend oder abwägend. Meistens fallen aber selbst diese Auswahlmöglichkeiten so beliebig und austauschbar aus, dass man die Unterschiede kaum bemerkt und sie weniger einer Weichenstellung gleichkommen als lediglich einem „Weiterblättern“-Button.

South of the Circle steht daher sehr viel näher an Walking-Simulatoren wie Everybody’s Gone to the Rapture oder noch viel mehr reinen Visual Novels, in denen es einzig um die Vermittlung einer Geschichte geht und nicht um das Eingreifen darin. Das lässt sich ihr grundsätzlich kaum vorwerfen, solange sie genau das anstrebt, lastet dadurch aber sämtliche Qualitätsmaßstäbe den Schultern der Story auf, die darunter schwer zu ächzen hat.

Grafisches und akustisches Kunstwerk

Auch stilistisch geht South of the Circle eigensinnige künstlerische Wege: Die Animationen der Figuren wirken durch Motion-Capturing flüssig und realistisch. Sämtliche Objekte jedoch sind statt mit detaillierten Texturen lediglich mit einfarbigen Flächen ausgemalt, was eine Anmutung von zum Leben erweckten Karikaturen hervorruft. Ein wenig fühlte ich mich an den 16-Bit-Klassiker Another World erinnert, der bereits vor über 30 Jahren seiner erschreckend minimalistischen Grafik durch realistische Bewegungsabläufe eine faszinierende, filmartige Dynamik verlieh. Ohne dies an dieser Stelle weiter analysieren zu wollen, ist der dadurch entstehende Wahrnehmungseffekt vergleichbar mit Filmen wie Waltz with Bashir oder A Scanner Darkly, die ebenfalls Szenen mit realen Schauspielern grob übermalten, um dadurch eine Ästhetik im unwirklichen Zwischenraum von bezeugendem Naturalismus, halluzinierender Einbildung und verschwommener Erinnerung zu schaffen.

South of the Circle - Announcement Trailer

Das Studio hinter This Waf of Mine oder Frostpunk hat mit South of the Circle ein neues Adventure angesiedelte in den 1960er Jahren angekündigt.

Denn letztlich ist South of the Circle natürlich in seinem Kern eine Geschichte über Erinnerung, in der ja schließlich auch die Einzelheiten nur noch unscharf und monochrom erscheinen, und die Szenenübergänge, mit denen das Geschehen zwischen Gegenwart und Vergangenheit wechselt, dürfen als die womöglich originellsten seit Highlander gelten: Ähnlich wie in der legendären Szene, in der die Kamera am Aquarium empor plötzlich auf den See schwenkt, auf dem Christopher Lambert und Sean Connery in einem Ruderboot sitzen, gelingt es den Entwicklern von South of the Circle immer wieder höchst kreativ, nebensächliche Details zum Anlass zu nehmen, um auf geradezu akrobatische Weise unvermittelt Zeitsprünge in der Geschichte zu vollführen. Völlig verblüffend etwa die Szene, in der ihr eurer Freundin am Schießstand auf dem Rummel lediglich einen Teddybären schießen wollt und euch plötzlich völlig unvermittelt in einer ganz ähnlichen Situation wiederfindet, deren bedrückende Gemütslage allein durch den krassen Kontrast von Heiter- und Ernsthaftigkeit um ein Vielfaches verstärkt wird.

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In einer emotional motivierten Geschichte wie dieser spielt natürlich auch die Tonspur eine besonders wichtige Rolle und diese soll zum Schluss gesondert hervorgehoben werden: Der Musik gelingt stets die richtige Tonalität zwischen zarter Emotionalität und aufpeitschender Dramatik. Vor allem aber den sympathischen Sprechern wie Gwilym Lee (Darsteller des Brian May im Queen-Film Bohemian Rhapsody) und erst recht Olivia Vinall (The Woman in White) in ihrem zurückhaltend säuselnden, dezent lispelnden British-English ist es geschuldet, dass man gar nicht anders kann, als ihnen trotz aller Widrigkeiten alles Glück der Welt zu wünschen …

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