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Test - The Medium : Das erste große Xbox-Series-Exklusivspiel

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The Medium ist nicht der erste, wohl aber der bislang beste Horrortrip aus dem Hause Bloober Team. Was erst einmal nichts heißen muss, denn das kleine Studio aus Polen hatte sich zuletzt mit Spielen wie Blair Witch, Observer und Layers of Fear 2 nur bedingt mit Ruhm bekleckert. Inwiefern The Medium es besser macht und warum Liebhaber klassischer Grusel-Adventures aufhorchen sollten, verraten wir euch in unserem Test.

Marianne verfügt über eine gespenstische Gabe: Sie spricht mit Toten und rekonstruiert vergangene Ereignisse durch spirituelle Reste, die von den Verstorbenen auf Gegenständen hinterlassen wurden. Sie blickt buchstäblich in eine Parallelwelt. Eine nützliche Eigenschaft, wenn man in einem Bestattungsunternehmen arbeitet. Dem ein oder anderen besorgten Mütterlein konnte sie dadurch versichern, dass ihr Gatte wohlbehütet ins Jenseits gelangt ist. Doch als ihr eigener Vater unerwartet stirbt, empfindet Marianne ihre Medium-Veranlagung als Fluch. Sie spürt, dass irgendetwas nicht stimmt und gelangt über Umwege zu einem alten verwunschenen Hotelressort, dessen halb eingestürzten Überreste fernab der Zivilisation auf dem polnischen Land verrotten.

Dieses Hotel war nie ein besonders erholsamer Ort. Der alte Plattenbau nach bester Eiserner-Vorhang-Architektur beschwört selbst jetzt zur Jahrtausendwende noch Planwirtschaft und trockenen Effizienz-Urlaub. Alte Postkarten erzählen von Idylle, doch hinter der Fassade erkennt man nur kalt kalkulierte Erholung für Arbeitsdrohnen. Ein Gestank von Asbest und Lackfarbe scheint durch die Xbox zu strömen, so glitschig kühl wirkt die Szenerie. Doch es kommt noch schlimmer. Kaum in der Ruine angekommen, schlagen Mariannes Sinne stärker Alarm als jemals zuvor. Hier ist ein großes Unglück geschehen.

Hinter den Spiegeln

Glaubt man den Machern von The Medium, so fließen im Jenseits alle Zeitstränge zusammen. Zukunft, Gegenwart und Vergangenheit koexistieren in einem ruhenden, wenn auch auf Wunsch beweglichen Zustand, den Marianne zwar nicht nach Belieben, aber in erstaunlicher Regelmäßigkeit besucht. Normalerweise bewegt sie sich dabei parallel durch die Welt der Lebenden und der Toten, was das Spiel durch eine Splitscreen-Ansicht verdeutlicht.

Dank temporaler Abweichungen erreicht sie in der dunklen Dimension Orte, die ihr sonst verwehrt blieben. Türen stehen offen, wo sie sonst verschlossen bleiben, längst zerstörte Treppen gewähren Zugang in höhere Stockwerke und selbst schweres Gerümpel beugt sich dem Einfluss spiritueller Gewalten. Allerdings nur dann, wenn sie sich der Dimension der Toten voll hingibt, was sie aufgrund begrenzter Kräfte nur für einen kurzen Zeitraum vermag. Zumindest zu Beginn. Geheimnisvolle Spiegel, die überall im Hotel stehen, stellen sich als Portale heraus, die Marianne ähnlich wie die berühmte Wunderland-Alice nutzt, um vollständig zwischen den Welten hin und her zu springen.

Da beide Dimensionen stets einen Bezug zueinander haben, vermag Marianne Gegenstände auf beiden Seiten zu verändern. Etwa wenn sie spirituelle Energie in sich aufsaugt und später an einem Sicherungskasten entlädt. Der gewaltige Stoß Astralmacht, den sie in der Totenwelt ausstößt, wirkt auch in der normalen Dimension, sodass beispielsweise Aufzüge ihren Betrieb aufnehmen.

Ein interessantes, wenn auch nicht übermäßig kompliziertes System von Wechselwirkungen, das allem voran der erzählerischen Komponente von The Medium dient. Spielerische Tiefe kommt dadurch selten zutage, denn der Ablauf ist abseits weniger kurzer Abzweigungen streng linear. Wann und wo etwas verändert werden muss, liegt fast immer auf der Hand, sofern man sich gewissenhaft umschaut. Auch das Inventar der Heldin füllt sich selten. Drei oder vier Gegenstände trägt sie im Höchstfall gleichzeitig, bevor sie welche durch Kombination mit anderen oder durch Verwendung an einem Ort wieder loswird.

Das mag für Rätselfreunde wenig einladend klingen, ist aber ein positiver Beitrag zum Spielfluss, denn das von Schutt und Müll gefüllte Hotelszenario ist unübersichtlicher als man es von einem Ost-Plattenbau erwarten würde. Ein Umstand, der mitunter auf das Konto der virtuellen Kamera geht. Ähnlich wie beim Original-Resident-Evil zeigt sie das Geschehen aus fixen Perspektiven mit geringem Schwenkradius. Nie genau zu wissen, was hinter der nächsten Ecke lauert, erzeugt ein klaustrophobisches Gefühl, ja den Eindruck, in manchen Situationen hilflos ausgeliefert zu ein. Inklusive der Umgewöhnung auf eine altmodische Panzer-Steuerung, zieht Bloober Team sämtliche Register längst vergessener Genreperlen.

Zwischen Kälte und Ekel

Erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es in The Medium keine greifbaren Feinde gibt. Keine Zombies, keine tollwütigen Hunde, keine rachsüchtigen Geister. Höchstens ein paar übergroße Motten in der Totenwelt, die Marianne mithilfe eines Schutzschilds abwehrt, den sie für eine begrenzte Zeit aufbauen kann. Echte Widersacher sind das aber keineswegs. Eher ein Stilmittel zur Eingrenzung der Spielfläche, denn wenn sie erst einmal durch einen Korridor voller Motten gelangt ist, fehlt ihr die nötige Energie, noch einmal denselben Weg zurück zu gehen.

Das Spielerlebnis von The Medium wird somit nur selten durch knallharte Action definiert. Düsteres Ambiente, der Grusel des Ungewissen in der Dunkelheit und der stetig fortlaufende rote Faden aus Forschung und leichten Puzzles bestimmen die meiste Zeit über das Geschehen. Angenehm entschleunigt, ja geradezu besinnlich taucht man mit jeder Minute tiefer in ein Geflecht aus Mystizismus und psychologischem Horror ein.

Ein Gemisch aus morbider Schaulust, leichtem Ekel und Akte-X-Flair wickelt sich mit jeder Minute dichter um den Hals. Nie erdrückend oder strangulierend, aber dominant und kontrollierend zieht es einen an der Leine durch ein schauriges Szenario abstrakter Auswüchse, wobei der Kontrast zwischen den beiden Dimensionen viel Einfluss auf die Stimmung nimmt, denn die trostlose Welt der Lebenden wirkt keinesfalls einladender als ihr Gegenstück.

Viele grafische Elemente arbeiten Hand in Hand, wenn es um die Trostlosigkeit der Umgebung geht. All das blanke Beton, die erzwungen freundlich gezeichneten, aber unterschwellig kalten Werbeplakate des vermeintlichen Urlaubsparadieses. Sie klatschen auf die Seele wie ein kalt ausgespültes Frotteehandtuch.

Das Art-Design der Totenwelt, das sich an den Bildern des Künstlers Zdzisław Beksiński orientiert, besticht hingegen durch pilzartige Verflechtungen, wild wachsende Haut- und Knochenstränge und organisch wirkende fraktale Fragmente. Und doch wirkt diese Welt wärmer. Nicht unbedingt freundlich, aber ausgeglichener und harmonischer, was meist durch einen rotbraunen Stich zustande kommt, sofern die Beleuchtung das Umfeld nicht in schwarzblaues Ambiente taucht.

Leider nutzt Bloober Team das Ambiente nicht sehr effizient. Manchmal wurde eine Tierhaut vor eine Tür gespannt, die man mit einem stumpfen Rasiermesser durchschneiden muss, um voranzukommen. Auch hier arbeitet ein Gemisch aus Ekel und perverser Befriedigung der Stimmung zu, aber das Stilmittel nutzt sich durch häufige Verwendung ab. Ein paar Abwandlungen dieses Ekels wären willkommen gewesen, um die Gänsehaut aufrecht zu erhalten.

Erstaunlicherweise wächst hier auch eine Begehrlichkeit haptischer Art. Wer ein paar Erfahrungen mit dem DualSense-Controller der Playstation 5 sammeln konnte, wünscht sich an dieser Stelle feinfühlige Reaktionen des Controllers, die auf der Xbox leider ausbleiben. Was auch an anderen Stellen der Fall ist, etwa bei der Verwendung einer Zange beim Knacken von Schlössern und Ketten. Man soll dafür beide Analogtrigger gleichzeitig drücken und bekommt als Feedback nur grobe Rumpel-Vibrationen statt Widerstand. Vielleicht sollte Microsoft ernsthaft darüber nachdenken, ein ähnliches Feature zu entwickeln. Widerstand auf den Triggern wäre in Horror-Spielen ein echter Gewinn. Wenn man den Effekt einmal kennt, vermisst man ihn schnell.

Der Schlund

Sagte ich, es gäbe keine Widersacher? Nun, eine Ausnahme gibt es: ein großer, geflügelter Dämon, der sich der Schlund nennt, irrt in der Totenwelt umher und saugt einem regelmäßig das Mark aus den Knochen. Er kann Marianne förmlich riechen und vermag irgendwann im Laufe des Spiels sogar, in die Welt der Lebenden zu schreiten, wo er allerdings unsichtbar ist. Nur anhand grob angedeuteter Umrisse erkennt man, wo sich der Schlund aufhält. Aber man hört ihn, sein wütendes Schnauben, sein festes Stampfen, sein Gemurmel, er wolle Mariannes Haut wie einen Handschuh tragen.

Die Erkenntnis, dass sich der Schlund auf festen Pfaden bewegt - und oft nur im Kreis – mag im ersten Moment ernüchternd sein, nimmt dem Ungetüm aber nicht den Schrecken. Wenn man Marianne per Knopfdruck dazu bewegt, den Atem anzuhalten, damit der Schlund sie nicht hört, tut man es ihr oft gleich – schlicht aus der Gewissheit heraus, dass ein einziger Fehltritt den Neustart am letzten Checkpoint zufolge hat. Das Ding kennt kein Erbarmen.

Leider kristallisiert sich an dieser Stelle aber auch eine große Schwäche heraus: Es fehlt in vielen Begegnungen an Konsequenz auf zweiter Ebene. Oft erwartet man eine Überraschung, die nicht eintritt. Der Schlund ist furchteinflößend, aber leider strunzdumm. Das ist bedauerlich, denn einige der Begegnungen mit ihm hätten problemlos spielerische Höhepunkte darstellen können, eben Momente mit Profil, in denen The Medium aus seinem ruhigen Spielfluss ausbricht. Marianne soll mal um das Ungetüm herumschleichen, beziehungsweise sich vor ihm verstecken, oder auch mal panisch vor ihm fliehen, inklusive Sprint ins Ungewisse. Nur bleibt der spielerische Einfluss dabei auf der Strecke. Alles ist so linear und steif vorgegeben, dass man nie ins Grübeln kommt.

Selbst das Verstecken vor dem Schlund folgt einem in Stein gemeißelten Muster. Klar, man kann das Timing zum Vorbeischleichen verpassen oder den sichersten Unterschlupf übersehen, aber wer aufmerksam spielt, weiß sofort, wie das Ungetüm überlistet werden kann. Das Spielerlebnis fühlt sich dadurch an vielen Stellen unbefriedigend an, was noch durch den Umstand untermauert wird, dass man für lächerlich einfache Leistungen mit Achievements bombardiert wird. Alle naselang poppt eine Benachrichtigung auf, die mitunter die Stimmung zerstören kann. Es schadet garantiert nicht, diese Benachrichtigungen für eine Weile abzuschalten, so viel sei gesagt.

Technische und gestalterische Unzulänglichkeiten

Schade, dass Bloober Team auf den letzten Metern schlapp macht. Das Szenario ist so gut gestaltet und die Stimmung derart dicht, dass man sich manchmal wundert, woran es denn hakt. In irgendeine Richtung hätte sich The Medium entwickeln müssen, um ein Profil anzulegen. Optionen hätte es viele gegeben. Mehr cineastischer Einfluss, wie etwa bei Heavy Rain?

Warum nicht? Echte Konversationen gibt es ja nicht viele. Um genau zu sein, begegnet man eigentlich nur einem kleinen maskierten Mädchen in der Totenwelt. Mit schöner ausgearbeiteten Kameraperspektiven in den Zwischensequenzen und ein paar Multiple-Choice-Optionen bei den Unterhaltungen hätte auch ein kleines Entwicklerstudio ein großartiges Erlebnis mit erzählerischem Tiefgang zaubern können.

Mehr und schwierigere Rätsel? Nun, wie schon erwähnt garantieren die vergleichsweise einfachen Lösungsansätze der kleinen Puzzles einen sauberen Spielfluss und erleichterte Orientierung. Aber ein paar Szenen, in denen man auf begrenztem Areal einer härteren Kopfnuss gegenübersteht, hätten den Anspruch und den Unterhaltungswert gesteigert. Ab und zu rettet man Tote aus ihrer Verstrickung in der Totenwelt, indem man ihre Gesichter sucht und sie den Kadavern aufsetzt. Das ist stimmungsvoll, aber eine Angelegenheit von fünf Minuten Herumlaufen. Da wäre mehr möglich gewesen. Mehr Rätsel, mehr Suchen, mehr Geheimnisse.

Oder eben das Offensichtliche: mehr Action mit dem Schlund. Es muss ja nicht gleich in Stunt-Kapriolen enden wie in Uncharted, aber mehr Entscheidungsfreiheit, mehr direkte Konsequenzen nach einer eingeleiteten Fluchtmaßnahme, ja vielleicht sogar eine ausgeklügelte Art der temporären Verteidigung hätten The Medium echte Höhepunkte verpasst, an die man sich langfristig erinnert.

Das Endergebnis, wie es nun vorliegt, verpasst leider die Chance, der Xbox Series S und X (und dem PC) ein markantes Exklusivspiel zu schenken, das Sonys Vorzeige-Bibliothek zumindest ansatzweise etwas entgegensetzt. Technische Ansätze sind vorhanden. Das Zwei-Welten-Szenario mitsamt seinen sekundenschnellen Sprüngen wäre auf der Xbox One nicht machbar gewesen. Oder wenn, dann nur mit ermüdenden Ladepausen. Hier lässt die schnelle SSD in der neuen Konsole die Muskeln spielen.

Auch die HDR-Farbgebung hat Potenzial, wurde aber etwas grob ausgearbeitet. Im ersten Kapitel, dessen trauriges Grau-in-Grau kaum ein hervorstechendes Element zulässt, entsteht sogar der Eindruck, das Spiel wäre in SDR konzipiert worden. Erst im Hotel kommen starke Kontraste zur Geltung, fahren aber viel zu stark auf. Eine Analyse des Farbspektrums zeigt, dass sich das Spiel die meiste Zeit über sowohl bei den hellen als auch bei den dunklen Flächen am Limit bewegt. Das Farbanalyse-Tool von Premiere Pro drehte in unseren Stichproben völlig am Rad, selbst bei konservativ kalibrierten Werten. Wie man es richtig macht, verdeutlichte jüngst die Maiden-Demo von Resident Evil: Village.

Wenn dann noch die Bildrate durch unregelmäßiges Frame-Pacing stottert und die Auflösung plötzlich von echtem 4K auf Full-HD fällt, verfliegt jede Hoffnung auf einen Xbox-Überraschungshit erster Klasse.

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