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Test - New Tales from the Borderlands : Das vielleicht lustigste Spiel, das es gibt

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Wer den ersten Teil von Tales from the Borderlands gespielt hat, erinnert sich heute vermutlich vor allem an diese eine Szene: die „Luftpistolen“-Schießerei, in der die Kontrahenten wie im Kinderspiel nur angedeutet mit den Fingern statt mit echten Knarren aufeinander ballern. Mit solcherlei absurdem Nonsens erwarb sich der Titel den Ruf als das zwar nicht beste, aber doch vermutlich unterhaltsamste Spiel, das Entwickler Telltale zu seiner Glanzzeit hervorgebracht hat. Daran muss sich der Nachfolger nun messen.

An New Tales from the Borderlands war Telltale allerdings nicht mehr beteiligt. Stattdessen wurde das Spiel inhouse bei Gearbox Quebec entwickelt. Da man dort aber offenbar genau um die Messlatte wusste, die es zu erreichen galt, holte man sich Unterstützung von Autoren ins Boot, die auch am ersten Teil mitwirkten. Schließlich stellt der krawallige Borderlands-Humor schon immer ein zweischneidiges Schwert dar: Während die eine Hälfte der Gags zündet wie eine Granate in der Hand eines lebensmüden Psychos, erschöpft sich die andere Hälfte in schrägen Charakteren, die mit ebensolch schrägen Stimmen krächzen und dabei mit albernen Verrenkungen unmissverständlich klarmachen sollen, dass das Gezeigte gerade lustig gemeint ist.

Um es gleich vorwegzunehmen: mit schrägen Stimmen gekrächzt wird auch in New Tales reichlich. Doch die Pointen sitzen hier durch die Bank weg. Selten ... schon lange nicht mehr ... nein, vermutlich noch nie habe ich in einem Spiel so häufig so schallend gelacht. Und das, obwohl ich in der Regel nur zum amüsierten Schmunzeln neige. New Tales from the Borderlands ist womöglich das lustigste Spiel, das ich je gespielt habe. Sorry, Monkey Island

Die Macht des Joghurts

Wie so häufig in solcherlei Geschichten werden auch in New Tales from the Borderlands drei ungleiche Persönlichkeiten unfreiwillig in ein Abenteuer verwickelt, das ihnen augenscheinlich ein paar Nummern zu groß ist. Da ist zum einen Octavio, ein junger Aufschneider und Tunichtgut, der sich für einen knallharten Geschäftsmann, einen wahren „Entrepreneur“, hält und vom großen Geld träumt, sich im Grunde aber nur als Kleinganove irgendwie notdürftig über Wasser hält. Seine Schwester hingegen ist eine begnadete Wissenschaftlerin und Pazifistin, die mit vollem Einsatz ihre Vision vom Weltfrieden verfolgt – zu dumm nur, dass sie für einen Rüstungskonzern arbeitet, der wenig von ihrer Idee begeistert ist, eine Waffe – pardon, ein „Gerät“ – zu erfinden, die nicht tötet. Und schlussendlich ist da noch Fran, die dauer-notgeile Inhaberin eines Frozen-Joghurt-Ladens, deren Aggressionsprobleme ungefähr genauso groß sind wie ihre unersättliche Libido auf alles und jeden.

Diese zusammengewürfelte Gruppe aus Gefährten wider Willen gerät durch Zufall in den Besitz eines mächtigen Kammerschatzes: einen Kristall, der in der Lage ist, Menschen zu heilen und sogar Tote wiederzubeleben. Was zunächst wie die große Chance auf ewigen Frieden und Glückseligkeit für das gesamte Universum scheint, weckt schon bald die Begehrlichkeiten der skrupellosen Konzerne und zwielichtigen Individuen, deren Tagewerk darin besteht, solcherlei Macht zu missbrauchen. Und am Ende steht über allem natürlich die Frage, ob die Figuren währenddessen ihre Lektionen über Freundschaft, Vertrauen und das Ablassen von persönlicher Gier gelernt haben. Oder wenigstens genug Tacos als Belohnung für ihre Mühen erhalten.

Wenn man ein wenig zwischen den Zeilen der (im Großen und Ganzen nicht sonderlich raffinierten) Geschichte lesen will – kann man aber auch bleiben lassen –, so könnte man sie als Satire auf aktuelle neo-liberale Tendenzen deuten, in denen im beständigen Streben nach Geld und Geltung die Werte von Menschlichkeit und Mitgefühl auf der Strecke bleiben. Die vorherrschende Anarchie der Borderlands-Welt dient derartig als Sinnbild für das Haifischbecken eines unkontrolliert sich selbst zerfleischendes Kapitalismus: Helden, die die Welt verbessern oder gar retten wollen, werden als idealistische Loser verspottet, und Ruhm erlangt nicht derjenige, der die selbstlosesten Taten vollbringt, sondern wer sich auf die zynischste und gewaltsamste Art und Weise selbst bereichert.

Witz komm raus, du bist umzingelt

Doch selbstverständlich dient die Geschichte weitgehend nur als Bühne für die absurde Situationskomik und schrille Travestie, für die die Serie berühmt ist. Zwar wird vermutlich keine Szene von Teil 2 ähnlich nachdrücklich in Erinnerung bleiben wie die eingangs zitierte Luftpistolen-Schießerei im Vorgänger. Dafür fallen gerade die Actionszenen auffallend einfallslos aus. Stattdessen brilliert New Tales aber durch einen Dialogwitz und hanebüchene Verwicklungen, die die Heiterkeit konstant am Anschlag halten. Abgesehen von ein paar sentimentalen Kalenderblatt-Weisheiten zu viel gegen Ende fällt jede einzelne Minute der 12 Stunden Spielzeit hochgradig unterhaltsam aus.

(Vorsicht, leichte Spoiler in diesem Absatz.) Einfach nur herrlich etwa die Szene, in der sich Octavio selbst als Geisel nimmt – und tatsächlich damit durchkommt. Oder die komplett hirnrissige Tanzdarbietung von Frans neuem Mitarbeiter, der zwar nichts in der Birne, aber dafür umso mehr Bizeps hat. Dann die wunderbare Parodie auf die Gründershow Shark Tank, das US-Original der „Höhle der Löwen“, in der es den tolpatschigen Helden nicht einmal gelingt, einen Investor für die großartigste Erfindung der Menschheitsgeschichte zu gewinnen – und beinahe von Haien gefressen werden. Oder der Running-Gag mit dem desertierten Soldaten, der immer dann plötzlich auftaucht, wenn man es gerade am wenigsten erwartet, weil er in Ermangelung eines festen Wohnsitzes an den entlegensten Orten hausen muss. Wie einem Kühlschrank. Oder einem Sarg in der Leichenhalle. Absolut grandios auch der Moment mitten im Showdown, in dem Octavio für einen winzigen Augenblick die vierte Wand durchbricht und den Spieler vorwurfsvoll direkt ansieht, weil selbst er nicht glauben kann, welch idiotische Entscheidung dieser gerade für ihn getroffen hat.

New Tales from the Borderlands steht offenkundig in der Humortradition aktueller Animations-Comedyserien für Erwachsene nach Art der Simpsons und damit in gewisser Weise sicherlich auch der modernen Meme-Kultur, deren Pointen wenig Aufbau benötigen und meist darauf fußen, eine gewöhnlich scheinende Situation unvorhergesehen ins Absurde zu verzerren. Oder ein popkulturelles Klischee einmal quer gegen den Strich zu bürsten. „Was?“ - „Was?“- „Was?“

Genau so sollte man sich dem Konsum von New Tales from the Borderlands auch nähern – weniger mit der Erwartung an ein richtiges Spiel als vielmehr das spielgewordene Pendant einer Comedy-Serie. Denn spielerisch erweist sich die Interaktivität als die größte Schwäche dieses interaktiven Film-Hybriden – was zunächst nicht überraschend für diese Art Spiel klingen mag, im vorliegenden Fall aber in erhöhtem Maße Gültigkeit hat. Nicht selten vergeht mehr als eine Minute, bis man überhaupt wieder zu einer Entscheidung aufgefordert wird. Tatsächlich vergaß ich dadurch zwischenzeitlich mehrmals, dass ich in Wirklichkeit gerade ein Spiel spiele und nicht bloß passiv einen Film schaue, und wurde erst wieder durch die plötzlich aufploppende Aktionsauswahl daran erinnert, mal wieder den beiseite gelegten Controller in die Hand zu nehmen.

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Zumal sich die Entscheidungen in der Tradition von Telltale schon immer kaum merklich nur in vereinzelten Szenen auswirkten und nicht in erkennbar unterschiedliche Verläufe der Handlung mündeten, wie es etwa bei Quantic Dream (Detroit: Become Human) oder Supermassive Games (The Quarry) zum Markenzeichen gehört. Immerhin ließen sich die Entwickler bei Gearbox von Letzteren, bzw. deren Spielen Until Dawn und Man of Medan, von einer Mechanik inspirieren, die ein wenig mehr Varianz ins Geschehen und vor allem in die Endsequenzen bringt: Wie in den genannten Beispielen bewirken einzelne Entscheidungen eine Verschiebung im Beziehungsgeflecht der drei spielbaren Charaktere – ob sich diese mögen, einander vertrauen oder nur in einer Zweckgemeinschaft gemeinsame Sachen machen. Szenen, in denen Kooperation zwischen den Gefährten gefragt ist, können daher leicht unterschiedliche Ausgänge nehmen, etwa wenn der eine dem anderen zuhilfe eilen soll, das aber bleiben lässt, weil die gegenseitige Sympathie nicht groß genug ausfällt. Langfristige Konsequenzen entstehen dadurch aber kaum.

New Tales from the Borderlands - Erste Gameplay-Szenen aus dem Spiel im neuen Trailer

In den ersten Spielszenen zu New Tales from the Borderlands erhaltet ihr einen ersten Vorgeschmack auf das Abenteuer, in dem die skrupellosen Konzerne der Borderlands, mächtige Kammer-Technologie mit dem Potenzial, das Universum zu verändern, und drei ganz gewöhnliche Leute zusammentreffen.

Generell fallen die Versuche der Entwickler, das geschehen spielerisch vielseitiger zu gestalten, reichlich halbherzig aus. Die gelegentlichen Minispiele fallen so simpel und stupide aus, das sie schon fast als (vielleicht beabsichtigte?) Parodie auf diese Art krampfhafter Auflockerungen durchgehen könnten. Besonders schade wiegt in dem Zusammenhang, dass die regelmäßigen Kämpfe mit albernen Actionfiguren abgesehen von anspruchslosem Knöpfchendrücken über keinerlei kreative Spielmechanik verfügen, etwa ein rudimentäres Runden- oder Sammelkartensystem. Das hübsche kleine Würfelspiel in Cult of the Lamb zum Beispiel, Orlog in Assassin’s Creed: Valhalla, das Dinosaurier-Brettspiel in Horizon: Forbidden West und Gwent in The Witcher sowieso bewiesen erst in jüngerer Zeit, wie sehr ein Spiel davon profitieren kann, wenn sich seine Entwickler bei den optionalen Minispielen einfach mal ein bisschen Mühe geben und Gedanken machen, anstatt irgendwas hinzuschludern.

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