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Test - Season: A letter to the future : Esoterisch schön, spielerisch leer

  • PC
  • PS5
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Manche Spiele verstehen sich als Kunstwerke. Sie verlangen eine Herangehensweise fernab aller Normen und versprechen als Ausgleich dafür eine magische Atmosphäre oder eine genau definierte Emotion. Das gespenstische Alm-Adventure Mundaun oder Far: Lone Sail sind gelungene Beispiele dafür. Season: A letter to the future schlägt in eine ähnliche Kerbe. Damit der Funke überspringt, bräuchte das Adventure allerdings mehr als nur schöne Aussichten.

Dystopische Visionen haben ihre ganz eigenen Handicaps. Viel interessanter als das Erforschen einer zerstörten oder verlassenen Welt ist es herauszufinden, wie es dazu kam und welche Konsequenzen daraus entstanden. Bei The Last of Us schrittweise zu verstehen, wie der zerrüttete Rest der menschlichen Gesellschaft tickt, kitzelt größere Überraschungen aus der Handlung heraus als das von Wiederholungen geplagte Metzeln der Untoten. Und doch sind die Hunter und Clicker das zentrale Spielelement. Ohne sie würde es Sonys Bestseller gehörig an Spannung mangeln. Der Überlebenskampf füttert und füllt das Narrativ mit Substanz, welche die Handlung voranbringt.

Season: A letter to the future versucht es hingegen ganz ohne zentrales Spielelement. Böse Zungen würden den Titel wohl als Cycling-Simulator abtun, sobald sie entdecken, dass die Hauptbeschäftigung aus dem gemütlichen Erkunden idyllischer Fahrradstrecken besteht. Das wird von gelegentlichen Zwischenstopps unterbrochen, bei denen man mithilfe einer Kamera, eines Tonbands und diverser Bleistiftzeichnungen Erinnerungen festhält.

Es wäre faktisch die Wahrheit, und doch so akkurat wie die Behauptung, Van Goghs Sternennacht sei nicht mehr als farbiges Öl auf einer Leinwand. So wie eine Visual Novel von der Erzählung an sich lebt, von ihrer Betonung und ihren Wendungen, so ist auch bei Season der Weg das Ziel. Dieses Spiel lebt davon, Erinnerungen einer fiktiven Person in emotionale Häppchen zu verpacken. Es vermittelt Ruhe und Hingabe in den Überresten einer Zivilisation, der das Vergessen droht.

Eine Reise durch Erinnerungen

Hauptfigur Estelle braut mit ihrer Mutter einen Trank für einen magischen Anhänger, der sie auf einer Reise beschützen und vor dem Verlust wichtiger Erinnerungen bewahren soll. Dafür gibt ihre Mutter sogar selbst eine wertvolle Erinnerung auf, bevor Estelle ihr kleines Dörfchen mit dem Fahrrad verlässt. Ohne Eile erkundet sie Landschaften, die sie nie zuvor sah, um wichtige Merkmale der Welt aufzuzeichnen, bevor diese am Schluss des aktuellen Zeitalters (auf englisch Season) zugrunde geht.

Ihr dürft euch bei jeder Station, an der Estelle Halt macht, aussuchen, welche Details ihr als erinnerungswürdig erachtet. Dann schießt ihr Fotos von Gebäuden, Plakaten oder Tieren, nehmt Geräusche auf Tonband auf oder sammelt Flugblätter ein. Mindestens fünf Erinnerungen pro Ort müssen laut Spielvorgabe im Tagebuch festgehalten werden. Anschließend kommentiert Estelle die Station mit Anekdoten und Schlussfolgerungen, die sich aus dem gesamten Tagebucheintrag ergeben.

Season: A letter to the future - Launch Trailer

Ab heute ist das Adventure Season: A letter to the future erhältlich. Euch erwartet ein ungewöhnlicher Roadtrip durch eine wunderschöne Cel-Shading-Welt.

Dabei offenbaren sich gelegentlich Zusammenhänge aus Erinnerungsstücken mehrerer Ortschaften, sofern man genau hinschaut. Man liest sie aus dem Kontext oder aus Gesprächen mit den wenigen Menschen heraus, denen Estelle begegnet. Mit gutem Willen lassen sich diese Zusammenhänge als kleine Puzzles bezeichnen, zumal das Tagebuch gewisse Objekte andeutet, die gefunden werden sollen, um eine besonders markante Erinnerung zu vervollständigen.

Weil sich gewisse Zusammenhänge aber erst durch verschachtelte Schlussfolgerungen ergeben, muss Estelle auch mal an längst erkundete Orte zurückkehren. Klingt nach Adventure-Backtracking, ist aber leider noch müßiger. Von einem durchdachten Spielablauf zu sprechen, wäre übertrieben. Brotkrumen sammeln trifft es besser. Die Suche nach interessanten Objekten erinnert an den Besuch eines Flohmarkts mit dem Ziel, in einem Meer aus Kitsch die wenigen Schätze zu finden, die übersehen wurden.

Ein esoterisches Erlebnis

So viel zur Theorie, die viel und doch nichts Handfestes aussagt. Darum muss ich an dieser Stelle einen persönlichen Schwank einführen. Ich kann nicht sagen, ob das Erlebnis dem Spieler etwas bringen soll, oder ob es den Entwicklern als kryptisches Sprachrohr dient. Während ich Season spielte, genoss und verstand ich viele der mal offen und mal unterschwellig vermittelten Botschaften, suchte genüsslich nach attraktiven Fotomotiven und ergötzte mich an wunderschönen Cel-Shading-Landschaften, die durchgängig in einem Ultrawide-Seitenverhältnis feilgeboten wurden (auch auf der PS5, aber zwangsweise mit schwarzen Balken).

Und doch hinterließ das Spiel bei mir keinen bleibenden Eindruck. Die Wirkung jeder einzelnen Facette der Erzählung verpuffte keine zwei Sekunden, nachdem sie ausgesprochen wurde. Ehrlich gesagt bin ich mir nicht einmal sicher, ob ich den Hauptstrang der Handlung richtig verstanden habe oder nur meinen Teil hinein interpretiere. Vermutlich ist beides zu einem gewissen Grad richtig und beabsichtigt, schließlich hält Season seine Terminologie von vornherein genauso vage wie seine Definition von Zeit und Ort.

Geht es um eine Zukunftsvision? Irgendwie schon. Zugleich wirkt aber vieles altmodisch und verstaubt. Das Gefühl, das Season beim Spielen erzeugt, ähnelt der Gemütlichkeit eines Ohrenbackensessels am Kamin. Der Raum wird durchflutet vom Geruch alter Fotos und Bücher, die mich in den Erinnerungen einer anderen Person wühlen lassen. Obwohl es eigentlich ein Fremder ist, kann ich eine Beziehung zu diesem Menschen aufbauen und mich in ihn hineinversetzen.

Dummerweise spielte das Kopfkino bei mir aber nur eine Zeit lang mit. Schon nach zwei der insgesamt fünf Spielstunden suchte mein Verstand nach Rationalität – vergeblich. Ich gestehe, mich streckenweise gelangweilt zu haben, obwohl ich Spiele mit künstlerischem Anspruch und ungewöhnlichen Erzählweisen sehr schätze. Was mir fehlte, war etwas mehr spielerische Substanz als Brücke zwischen den impressionistischen Anteilen. Das Fahrradfahren durch schöne, aber einsame Landschaften reichte mir dafür nicht aus.

An dieser Stelle drängt sich ein Vergleich mit Far: Lone Sails auf. Auch bei diesem Spiel wandere ich von einer Station zur nächsten und lasse mich unterwegs von einer gewissen Schwermütigkeit einwickeln. Doch damit ich nicht immerzu am selben Nerv gekitzelt werde und abstumpfe, muss ich das Gefährt, mit dem ich reise, in Schuss halten. Ein solches Spielelement fehlt Season leider.

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