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Special - Cybermobbing - Gastbeitrag : Altes Problem, neuer Name

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An dieser Stelle wird der geneigte Leser meinen, der Ausbildungsbetrieb sei geschlossen worden, weil Gesetze verletzt werden. Nein! Der Betrieb ist das beliebteste Kaffee hier bei uns im Ort. Die Behandlung des Personals ist zwar kein gut gehütetes Geheimnis, aber die ehemaligen Mitarbeiter sprechen auch nicht gerade öffentlich über die Missbräuche, denn in anderen Betrieben sei es genauso schlimm oder sogar noch schlimmer. Und wenn man eine neue Stelle sucht, ist man häufig darauf angewiesen, lieber zu schweigen, denn die Chefs telefonieren ja miteinander.

Da wird mir einfach nur schlecht.

Mobbing ist ein Spiel, das gelernt sein will wie jedes andere

Im Lehrerzimmer ist Mobbing ein beliebtes Thema, wenngleich allgemeine Planlosigkeit herrscht. Wir sind nun mal keine Psychologen. Und mal ehrlich, jeder kennt die Situation: Jemand wird gemobbt, vielleicht ist er oder sie ein Arschloch, vielleicht können wir ihn oder sie einfach nicht riechen. Nichts ist seltsam daran, sich von Menschen fernzuhalten, die man nicht mag. Wenn einer dem anderem den Rücken zukehrt, ist das in Ordnung, aber wenn eine Gruppe es macht, dann nennen wir es einfach Mobbing. Es folgt eine Mobbing-Ansprache innerhalb der Gruppe. Jeder weiß, wer gemeint ist. Derjenige möchte am liebsten im Boden versinken und wer weiß, auf dem Nachhauseweg revanchiert man sich vielleicht noch.

In jedem Hühnerstall gibt es eine Hackordnung. Zugegeben, Hühner töten sich auch gegenseitig und auch Kannibalismus soll unter ihnen nicht gerade selten sein. Aber der Hühnerhalter kümmert sich um seine Tiere und sorgt dafür, dass keine Katastrophen geschehen, denn er will ja schließlich die Eier. Tatsächlich neigen wir Menschen aber dazu, bei Mobbing einfach wegzusehen. Wenn es dann gar nicht mehr anders geht, machen wir eine „Gefahrenansprache“ ein „Deeskalationsseminar“. So ein Humbug, das hilft dem angefressenen Huhn auch nicht weiter.

Ich hatte mal einen Nachhilfeschüler, der im zarten Alter von zwölf Jahren andauernd „Freundinnen“ hatte, die mit ihm „gehen“ wollten. Der Junge hatte in der linken Gesichtshälfte ein gigantisches Muttermal, das wirklich nicht so schön aussah. Aber durch seinen unglaublichen Charme machte er das wieder wett. In der Klasse wurde er von seinen männlichen Mitschülern gemobbt und häufig verprügelt. Für seine Eltern war klar, in den Sommerferien würde er eine Schönheits-OP bekommen. „Scarface!“, war mein besonders sensibler Kommentar dazu, der die Eltern ziemlich aus der Fassung brachte. „So werden sie Ihren Jungen nennen. Scarface. Jeden Tag. Mobbing ist ein Spiel und wenn die Täter gewinnen, hat es nie ein Ende.“ Der Junge trägt sein Mal heute immer noch mit Stolz. Er musste zwar dennoch die Schulklasse wechseln, aber er ist dankbar, dass ihm diese Tortur erspart blieb. Er wollte auch gar nicht operiert werden.

Oft sieht man aufgrund mangelnder Distanz zum Problem keine Lösungen, da hilft nur fremde Hilfe und ich helfe gerne. Manchmal läuft mir ein Schauer über den Rücken, wenn ich Menschen Sachen sagen höre wie: „Schaue niemals zu jemandem herab, außer du willst ihm aufhelfen.“ Oder: „Wenn ich sehe, dass jemand Hilfe braucht, dann helfe ich.“ Es gibt nur sehr wenige Menschen, die das leben. Und nur sehr wenige von ihnen nutzen ihre Leidenschaft, um sie an Heranwachsende weiterzugeben. Vielleicht ist das aber auch nur ein naiver Gedanke. Als ehemaliges Mobbing-Opfer weiß ich aber, dass es fast nichts bringt, wenn man nur die Täter anspricht. Ich halte einen systemischen Ansatz für schlauer, denn die Hühner im Stall müssen ja auch mit dem Neuen klarkommen.

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